Ein 60-jähriger Italiener, der bei Audi eine führende Rolle bei der Entwicklung der Betrugssoftware zur Manipulation von Diesel-Abgaswerten gespielt haben soll, könnte für die Justiz bei der juristischen Aufarbeitung der Dieselaffäre zum Kronzeugen werden.

München - Der wegen Betrugsverdacht in U-Haft sitzende Ex-Manager von Audi packt aus. „Mein Mandant kooperiert mit den Behörden, sagt aus, war aber nur Techniker und kein Entscheidungsträger“, erklärte sein Münchner Anwalt Walter Lechner dieser Zeitung. Ein Sprecherin der wegen der VW-Abgasaffäre ermittelnden Staatsanwaltschaft München 2 bestätigte das. „Er hat umfangreiche Angaben gemacht“, sagte sie auf Anfrage. Die Vernehmung sei noch nicht abgeschlossen. Zu Inhalten könne sie nichts sagen. Weitere Verhaftungen seinen nun aber zumindest nicht ausgeschlossen. Zur Sichtweise, der inhaftierte 60-jährige Ex-Audianer, sei nur Befehlsempfänger und keine treibende Kraft im Abgasskandal gewesen, meinte die Justizsprecherin nur, dass das eine Bewertungsfrage sei, zu der sie sich nicht äußern wolle.

 

Auch US-Behörden fahnden nach Giovanni P.

Der seit einer Woche in U-Haft sitzende Giovanni P. ist ein italienischer Staatsbürger, der von 2006 bis November 2015 bei der VW-Tochter Audi am Standort Neckarsulm als ein führender Motorentwickler ein Team für die Entwicklung von Diesel-Abgastechnik geleitet hatte. Auch US-Behörden fahnden nach ihm. Sie werfen dem 60-Jährigen, der von Audi erst freigestellt und mittlerweile gekündigt worden ist, eine Mitwirkung an der Entwicklung von Abgas-Betrugssoftware für den US-Markt vor. In Deutschland ist der Italiener der erste Audi-Manager, der im Zuge des Diesel-Skandals verhaftet wurde und hat nun das Zeug, sich zum Kronzeugen der Affäre zu mausern. Auf diese Weise könnte er den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen und in eigener Sache zumindest Strafmilderung erreichen.

In U-Haft genommen wurde der 60-Jährige dem Vernehmen nach wegen Fluchtgefahr. Er soll sich zuletzt in Italien aufgehalten haben. Deutsche Ermittler sind ihm angeblich per Telefonüberwachung auf die Spur gekommen, als er vorige Woche unvorsichtigerweise wieder nach Deutschland eingereist war. Ermittler sehen den 60-Jährigen als eine Schlüsselfigur des VW-Skandals, der in weiten Teilen vor allem einer der Premiumtochter Audi ist. Die gilt mittlerweile als Keimzelle für die Entwicklung der zur Verschleierung von Diesel-Abgasen nötigen Betrugssoftware, die weltweit in rund elf Millionen Autos des VW-Konzerns verbaut worden ist.

Aussage in dem bei Youtube abrufbaren Video wurde als Lüge entlarvt

Der inhaftierte Giovanni P., der nun als Kronzeuge für eine Ausweitung der Abgasaffäre sorgen könnte, ist im Internet auf einem YouTube-Video zu sehen, wo er in den USA den angeblich saubersten Diesel der Welt preist. Abrufbar ist diese mittlerweile als Lüge entlarvte Aussage bei YouTube über die Sucheingabe „Audi the cleanest diesel in the world“. In Deutschland wird gegen den hochrangigen Techniker neben Betrugs auch wegen unlauterer Werbung ermittelt. Die Staatsanwaltschaft München 2 legt Wert auf die Feststellung, Giovanni P. wegen eigener Ermittlungen in U-Haft genommen zu haben und nicht wegen eines Rechtshilfeersuchens aus den USA. Damit gilt es in Justizkreisen als unwahrscheinlich, dass die Münchner Justiz ihren mutmaßlich wertvollen Zeugen in die USA überstellt.

Kooperieren können die Behörden dennoch transatlantisch. Die Audi-Ermittlungen in München leitet Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel, der an der Isar vor gut einem Jahrzehnt schon für den Siemens-Bestechungsskandal zuständig war und sich dabei als unnachsichtig erwiesen hat.

Ermittlungen richten sich gegen mehrere ehemalige und aktuelle Audi-Mitarbeiter

Die Münchner Ermittlungen richten sich gegen mehrere ehemalige und aktuelle Audi-Mitarbeiter. Frühere oder amtierende Vorstände sind nach Justizangaben bislang nicht darunter. In den USA hat sich VW Anfang des Jahres für schuldig bekannt, allein dort 600 000 Fahrzeuge mit einer Betrugssoftware ausgestattet zu haben, die zu niedrigen Schadstoffausstoß vorgaukelt. Real auf der Straße lag der Ausstoß klimaschädlicher Gase dabei um das bis zu 40-fache über den auf einem Laborprüfstand gemessenen Werten. In den USA hat VW über 20 Milliarden Euro an Strafen, Entschädigung an Kunden und Nachrüstungskosten für die Affäre bezahlt. In Deutschland bezeichnen VW und Audi die Vorgänge dagegen immer noch verharmlosend als „Diesel-Thema“, um Entschädigungen zu vermeiden. Hierzulande ermittelt in der Affäre seit März nicht nur die Staatsanwaltschaft München gegen die VW-Tochter Audi, sondern bereits länger auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Konzernmutter VW. Insgesamt richten sich die Ermittlungen beider Staatsanwaltschaften gegen bislang mehr als 40 Personen. In den USA ist die Affäre für den Konzern nach umfangreichen Vergleichen beendet. Auf persönlicher Ebene wird dagegen auch dort noch strafrechtlich weiterermittelt. Gegen mittlerweile acht VW- und Audi-Manager, darunter den in München inhaftierten Giovanni P., liegen US-Strafanzeigen vor. Ein VW-Manager wurde bereits in den USA verhaftet, wo er auf seinen Prozess wartet. Ein Kollege hatte im Herbst 2016 seine Schuld eingestanden und sich als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. Er ist nun gegen Kaution auf freiem Fuß.