Weil sich die Fahrer älterer Diesel womöglich Wege durch Waiblingen suchen und dort den in Stuttgart unwillkommenen Feinstaub hinterlassen könnten, beauftragt die Stadt jetzt eine klärende Diesel-Schleicher-Expertise.

Fahrverbot - Weichen die vom Stuttgarter Dieselfahrverbot betroffenen Autofahrer auf Schleichwege rund um die Landeshauptstadt aus, womöglich quer durch Waiblingen? Fährt, wer gen Karlsruhe oder in Richtung Bodensee will, künftig über Hegnach und Ludwigsburg ums Altdiesel-Sperrgebiet herum? Wählt, wer mit einem Euro-4-Vehikel nach München will, auf dem Weg zu B 10 und A 8 anstelle des für ihn versperrten Kappelbergtunnels die Schurwaldquerung durch Stetten gen Esslingen? Um etwas Klarheit in den Feinstaubdunst im Osten Stuttgarts zu bekommen, hat der Waiblinger Gemeinderat am Donnerstag einstimmig beschlossen, ein Gutachten in Auftrag zu geben.

 

Gibt es den Schleichverkehr? Wenn ja, was tun?

Die Untersuchung des Büros Karajan Ingenieure soll klären, wo durch das Dieselfahrverbot ausgelöster Ausweichverkehr zu befürchten ist. Außerdem soll das Gutachten einen Überblick über kurzfristige, also nicht mit dem Neubau von Straßen verbundene Möglichkeiten geben, die dafür sorgen, dass dieser Umgehungsverkehr nicht durch die Waiblinger Kernstadt und die ohnehin verkehrsgeplagten Ortschaften fährt. „Wir brauchen die sachkundige Hilfe eines Ingenieurbüros“, sagte der Oberbürgermeister Andreas Hesky am Donnerstag im Gemeinderat, der mit seiner Zustimmung zu einem Verkehrsgutachten grünes Licht für einen Antrag der Alternativen Liste (Ali) gab. Diese sei, so formulierte es der Fraktionsvorsitzende Alfonso Fazio, „der Überzeugung, dass der Gemeinderat in seinem Entscheidungsrecht Schutzmaßnahmen gegen eine zusätzliche Verkehrsbelastung seiner Bürgerschaft beschließen muss.“

Dass die Sache nicht ganz so einfach ist, das hatte sich schon bei ersten Debatten im Planungsausschuss gezeigt. Klar ist, in irgendeiner Form kommt es zu Ausweichverkehr. Wie dieser im Zweifelsfall zu identifizieren sein könnte und welche verkehrsplanerischen oder -technischen Möglichkeiten bestünden, dem einen Riegel vorzuschieben, darüber herrscht große Ungewissheit. Zur Entlastung der Bürger, so hat OB Hesky schon im Januar in Sachen Diesel-Schleichverkehr konstatiert, sei „eine Nord-Ost-Tangente erforderlich“.

Aus dem Verkehrsministerium des Landes heißt es, wegen der Fahrverbote für ältere Diesel in der Umweltzone Stuttgart sei nicht mit relevantem Verlagerungsverkehr und Ausweichverkehr im Umland zu rechnen. „Wie die Erfahrungen mit den früheren Stufen der Umweltzone, insbesondere der Einführung der grünen Umweltzone, zeigen, welche eine vergleichbare Anzahl Fahrzeuge betraf, gibt es keine problematischen Strecken, bei denen es zu relevantem Ausweichverkehr kommt.“ Rückmeldungen aus Umlandkommunen wegen eines erhöhten Verkehrsaufkommens habe es bislang keine gegeben. Auch seitens des Verbands Region Stuttgart, so bestätigt der Verkehrsplaner Thomas Kiwitt, rechne man nicht mit signifikanten Steigerungen.

Ministerium: Im Zweifelsfall gibt es „flankierende Maßnahmen“

Was, wenn es denn doch zu Ausweichverkehr kommen sollte? Dann, so heißt es seitens des Ministeriums, „müssen entsprechende flankierende Maßnahmen ergriffen werden“. Diese müssten nicht nur wirksam bei der Luftreinhaltung sein, sondern auch den Lärmschutz berücksichtigen. Die von der Ali-Fraktion ins Gespräch gebrachten Tempolimits oder Schwellen seien in Bezug auf die Luftreinhaltung nur in bestimmten Fällen und abhängig von örtlichen Verhältnissen wirksam.

In der Region ist die Waiblinger Situation beim Dieselfahrverbot eine Besonderheit. Die Konstellation, dass zum Erreichen überregionaler Autobahnverbindungen das Stuttgarter Stadtgebiet durchquert werden muss, gibt es ansonsten nicht. Denn von Ludwigsburg im Norden über den Westen der Landeshauptstadt bis in die Nähe Esslingens im Südosten verlaufen die Autobahnen  81 und  8 quasi als Dreiviertelring um Stuttgart herum. Anlass genug für Befürworter des Nordostrings, zu argumentieren, hier fehle die tangentiale Trasse übers Schmidener Feld in Richtung Kornwestheim. In der aktuellen Debatte beharren die Antragsteller von der Waiblinger Ali-Fraktion unterstützt von der SPD darauf, dass keine Neubauprojekte in Frage kämen, ausschließlich sehr kurzfristige Lösungen – das Altdieselproblem habe sich in zwei Jahren ja ohnehin erledigt.

In der Waiblinger Nachbarschaft sieht man auch deshalb das schwer fassbare Schleicher-Problem entspannter. Verkehrszunahmen seien nicht erkennbar, sagt etwa Kernens Bürgermeister Stefan Altenberger. Und was weitere Verbote etwa für Euro-5-Diesel angeht, rechnet er nicht damit, dass diese tatsächlich kommen. Ärgerlich sei im Zweifelsfall, dass durch Umwege insgesamt noch mehr Feinstaub in die Luft geblasen und womöglich auch gen Stuttgart geweht werde. Er halte generell die Fahrverbote und daraus resultierenden sekundäre Verkehrsverdrängungsversuche ohnehin für „kompletten Schwachsinn. Ich hoffe, das alle vernünftig werden“.

Es trifft nicht alle alten Diesel

Ausnahmen
Bei dem seit Anfang des Jahres geltenden Dieselfahrverbot bis einschließlich Euro-4-Norm gibt es Ausnahmen, zum Beispiel für Handwerker oder Spezialfahrzeuge. Insgesamt wird geschätzt, dass die Besitzer von rund einem Zehntel der in der Region betroffenen rund 72 000 Fahrzeuge – im Rems-Murr-Kreis etwa 18 000 – davon Gebrauch machen könnten. Derzeit sind von knapp 9400 gestellten Anträgen etwa 3400 genehmigt.

P+R-Anlagen
Zum Wochenbeginn hat die grün-schwarze Landesregierung die Bestimmungen zum Fahrverbot für die Altdiesel etwas gelockert. Die ausgesperrten Fahrzeuge dürfen demnach 16 Park+Ride-Anlagen in den Stuttgarter Außenbezirken ansteuern, die Innenstadtbezirke bleiben tabu. Um diese Regelung wirksam zu machen, muss die Stadt aber noch eine entsprechende Verfügung erlassen. Auch dann, so hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag betont, sei es natürlich nicht erlaubt, mit einem alten Diesel von Waiblingen oder Fellbach quer durch Stuttgart zum Parkhaus nach Degerloch zu fahren.