Auch eine Woche nach dem Regierungskompromiss gibt es für die Besitzer älterer Fahrzeuge wenig Klarheit. Wird vielleicht nachverhandelt?

Berlin - Die EU-Umweltminister haben sich am späten Dienstagabend darauf geeinigt, dass die CO2-Emissionen von Pkw bis 2030 um 35 Prozent im Vergleich zu den Werten von 2021 gesenkt werden. Die Bundesregierung hatte sich – gebremst von der Industrie – ursprünglich dafür ausgesprochen, den Ausstoß auch für Autos nur um 30 Prozent zu senken. Auch beim Dieselkompromiss, der zweiten Großbaustelle beim Thema Schadstoffbelastung, treten die Autohersteller auf die Bremse. Vor gut einer Woche hat sich die Bundesregierung auf einen Dieselkompromiss verständigt, der deutlich weiter reicht als die bisherigen Maßnahmen. Das „Dieselchaos“, das Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht beklagt hat, ist damit jedoch noch nicht überwunden.

 

Wann kommen Umtauschprämien?

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat am Mittwoch gegenüber Bundestagsabgeordneten angekündigt, dass BMW an diesem Donnerstag Details seiner Umtauschprämien vorstellen wird. Die Erwartung in Berlin ist, dass dann auch die anderen beiden deutschen Hersteller Daimler und VW schnell nachziehen müssen, um keine Wettbewerbsnachteile gegenüber der Münchner Konkurrenz zu erleiden. Einen Rabatt beim Kauf eines Neufahrzeugs oder eines saubereren Gebrauchtwagens sollen diejenigen Besitzer von Dieselfahrzeugen mit der älteren Euro-4- oder Euro-5-Norm erhalten, die in den deutschen Schadstoffhochburgen wohnen oder beruflich dorthin pendeln müssen.

Gibt es Nachrüstungen oder nicht?

Hier steht noch vieles in den Sternen. Als Alternative zum Umtausch, der die Autofahrer trotz des Nachlasses Geld kostet, hat die Bundesregierung Hardware-Nachrüstungen vorgesehen. Der Einbau eines Katalysators, der mit Harnstoff die gesundheitsschädlichen Stickoxide bindet und damit die Motorabgase reinigt, soll ebenfalls jenen Dieselbesitzern zur Verfügung stehen, die in die 14 am meisten belasteten Städte und jene mit Fahrverboten fahren müssen. Allerdings haben die deutschen Hersteller unmittelbar nach der Regierungseinigung wissen lassen, dass sie nicht bereit sind, der Regierungsforderung zu entsprechen, die Kosten voll zu übernehmen. VW hatte ursprünglich angeboten, 80 Prozent zu bezahlen, dies dann aber von der Beteiligung der Konkurrenz abhängig gemacht. Ähnlich hat sich Daimler aufgestellt, BMW will gar keine Nachrüstungen anbieten.

Verhandelt die Regierung weiter mit der Autoindustrie?

Das Nein der Hersteller will die Bundesregierung nicht auf sich sitzen lassen. In die Verhandlungen, die seither mit den Herstellern geführt werden, sind auch Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) persönlich eingebunden. „Es gibt weiterhin Gespräche“, hieß es am Mittwoch auch im offiziell federführenden Verkehrsministerium. Allerdings gibt es gerade aufseiten des SPD-geführten Umweltministeriums und in der sozialdemokratischen Regierungsfraktion Zweifel daran, dass Scheuer mit großem Nachdruck verhandelt. Lange hatte er Hardware-Nachrüstungen abgelehnt und diesen erst unter politischem Druck zugestimmt. Scheuer müsse jetzt „mehr dafür tun, um dem Koalitionsbeschluss zum Erfolg zu verhelfen“, sagte Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, unserer Zeitung: „Dazu muss er die Hersteller von der vollen Kostenübernahme überzeugen, sie zur Kooperation mit den mittelständischen Anbietern von Nachrüstungssets zwingen und vom Kraftfahrt-Bundesamt eine aktive Unterstützung des Nachrüstungsprozesses einfordern.“

Woran hakt es bei der Nachrüstung?

Die Nachrüstungen können nach Ansicht der SPD-Politikerin Lühmann nur schnell kommen, wenn die Autobauer nicht erst eigene Systeme entwickeln, sondern schon vorhandene Modelle kleinerer Firmen nutzen. Zwei dieser Katalysatoren sind dem Kraftfahrt-Bundesamt bereits zur Genehmigung vorgelegt worden – und mit der lapidaren Antwort beschieden worden, man werde nun in das normale Prüfverfahren einsteigen. „Diese Nachrüstmodelle müssen im Kraftfahrt-Bundesamt jetzt mit Priorität behandelt werden“, fordert Lühmann.

Kann die Regierung Druck machen?

Die SPD-Bundestagsfraktion hat Bußgelder ins Gespräch gebracht, um die Autoindustrie zum Einlenken zu bewegen. Tatsächlich hatte Scheuer dieses Instrument schon einmal angedroht: Im Juni zwang er Daimler damit, neue Zahlen von Fahrzeugen mit kritikwürdiger Abgassoftware offenzulegen. Jedoch drohte der Konzern damals seinerseits mit einer Klage, weil das Bußgeld von 5000 Euro pro Wagen nur bei absichtlichen Manipulationen der Abgasreinigungen verhängt werden dürfe, was anders als bei VW bei Mercedes nicht der Fall gewesen sei. Tatsächlich spricht auch ein regierungsinternes Papier nur von einem „Sanktionsrahmen für Hersteller, die unzulässige Abschalteinrichtungen in die Abgasnachbehandlungssysteme einbauen“ ließen. Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums sagte am Mittwoch: „Grundsätzlich stellt sich die Frage nach Bußgeldern erst, wenn die Strafverfolgungsbehörden ihre Untersuchung und ihre Schlüsse finalisiert haben und wenn dazu rechtskräftige Urteile feststehen.“

Welche Folgen hat das Fahrverbotsurteil in Berlin?

Berlin zählt nicht zu den 14 am stärksten belasteten Kommunen, in denen im Jahresmittel mehr als 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gemessen werden. Allerdings hat die Regierung auch Dieselbesitzern in jenen Städten Hilfe versprochen, „in denen ein demnächst aufgestellter, bestandskräftiger Luftreinhalteplan wegen fehlenden rechtlichen Ermessensspielraums Verkehrsbeschränkungen vorsieht“. Mit dem Urteil könnten auch die Berliner Umtauschprämien oder Nachrüstungen in Anspruch nehmen. Zu den maximal 1,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen, von denen Scheuer vorige Woche sprach, gesellen sich nun mehr als 165 000 Euro-4- und Euro-5-Diesel, die allein im Stadtgebiet Berlin gemeldet sind. Das Ausmaß des Problems ist damit noch größer geworden.