Dieselprozesse Der Rechtsstaat zeigt Zähnchen

Audi-Chef Rupert Stadler bekam die erwartet milde Strafe. Foto: dpa/Matthias Schrader

Im Dieselskandal zeigt sich, dass sich Manager und Unternehmen bis heute vor der Verantwortung für ihr Tun drücken können.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau : Klaus Köster (kö)

Selten wurde ein Gerichtsurteil mit so wenig Spannung erwartet wie das gegen den ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler. Im Grunde war es gar kein Urteil eines Gerichts, das sich die Vorträge aller Parteien anhört und in eigenständiger Würdigung zu einer Entscheidung kommt. Die Urteilsverkündung war eher die Bekanntgabe des Ergebnisses von Verhandlungen, wie sie Tarifparteien führen, wenn sie um Lohnprozente ringen.

 

Die Schnittmenge der Einzelinteressen

Jede Partei hatte Interessen, die sie in das Ergebnis hinein verhandeln wollte: Stadler wollte auf alle Fälle eine Gefängnisstrafe vermeiden und den Gerichtssaal als freier Mann verlassen, der überdies nicht all seine Milliönchen für eine Strafe abführen muss. Die Staatsanwaltschaft wollte den Eindruck der Zahnlosigkeit vermeiden; und der Justiz ging es nicht zuletzt darum, sich diesen unendlich zähen Fall ein für alle Mal revisionssicher von der Backe zu kratzen. So gesehen können sich alle als Sieger fühlen.

Die vierte Partei, von der bei diesem Deal weit weniger die Rede war, ist der Rechtsstaat. Wurde mit der Entscheidung wirklich Recht gesprochen, oder hat man im Namen des Volkes einfach die Schnittmenge zwischen den Interessenlagen aller Beteiligten für Recht erklärt? Wurde der Chef eines Unternehmens, das über viele Jahre eine zentrale Rolle bei der systematischen Irreführung der Öffentlichkeit, der Kunden und der staatlichen Behörden gespielt und maßgeblich zur vermeidbaren Verschmutzung der Luft in den Städten beigetragen hat, tatsächlich zur Verantwortung gezogen?

Geständnis aus Kalkül, nicht aus Reue

Offenbar stand für das Gericht durchaus eine Freiheitsstrafe im Raum, die Rupert Stadler durch ein Geständnis abbog, aus dem aber keine Reue sprach, sondern kühles Kalkül. Dass er damit durchkam, zeigt: In einem der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegszeit hat der Rechtsstaat einen schweren Stand.

Als vor Jahren bekannt wurde, dass Autohersteller jahrelang Dieselfahrzeuge mit weit überhöhten Schadstoffwerten produzierten, rangen sie sich nur widerwillig dazu durch, wenigstens nachträglich Verantwortung für ihre Autos zu übernehmen und diese so nachzubessern, wie sie von Anfang an hätten sein müssen.

Die verbreitete Selbstgerechtigkeit geht einher mit einer Verantwortungslücke, die sich sich wie ein roter Faden durch den Dieselskandal zieht. Sie stellt in der Konsequenz eine Wirtschaftsordnung infrage, die unternehmerische Entscheidungsfreiheiten mit der Konsequenz verbindet, für deren Folgen geradezustehen. Wer bahnbrechende Erfindungen macht wie die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci, kann dafür guten Gewissens satte Gewinne einheimsen; wer mit seinen Produkten scheitert, muss auch dafür die Folgen tragen. Das Gleiche gilt für Unternehmen, die sich durch Verstöße gegen Regeln – zum Beispiel solche zum Schutz der Umwelt – Vorteile verschaffen. Beim Dieselskandal allerdings waren die Verstöße gegen Regeln und deren extreme, zur Täuschung der Öffentlichkeit führende Auslegung so verbreitet, dass kaum noch von einzelnen schwarzen Schafen die Rede sein kann.

Das Signal: Skrupellosigkeit kann sich lohnen

Bereits im Zuge der Finanzkrise zeigte sich, wie groß der Vertrauensverlust sein kann, wenn sich extremes Gewinnstreben und fehlende Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Tun zusammentun. Auch im Dieselskandal versuchte die Autoindustrie lange, mit billigen Technologien Gewinne zu erzielen und die Folgen ihres Kalküls auf Kunden und nicht zuletzt auf die Umwelt abzuladen.

Von vielen Dieselverfahren geht das ungute Signal aus, dass sich Skrupellosigkeit lohnen kann. Nicht zuletzt darin zeigt sich die Zahnlosigkeit des Rechtsstaats.

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