Die Autobranche hat aufgrund ihres Verhaltens im Dieselskandal Kritik verdient. Aber diese sollte mit Augenmaß geübt werden, meint der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs. Denn die Branche wird noch gebraucht.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Noch für Gerhard Schröder war der Titel „Autokanzler“ eine Auszeichnung. Die Autoindustrie, damals wie heute das ökonomische Kraftzentrum der Republik, verhalf den Deutschen zu Wohlstand und Ansehen. Was für Wolfsburg und Untertürkheim gut war, war auch gut für den Bürger, Fahrer, Steuerzahler.

 

Tempi passati. In diesen Tagen haben, das zeigen aktuelle Erhebungen, fast 60 Prozent der Bundesbürger das Vertrauen in die Autoindustrie verloren. Mehr als zwei Drittel sind der Meinung, die Politik sei zu nachsichtig gegenüber der Branche und solle den Schutz der Gesundheit und der Bürger in den Vordergrund stellen, statt auf die Interessen der Unternehmen und der Arbeitsplätze Rücksicht zu nehmen. Nach Abgasskandal, Kartellvorwürfen und der Abstimmung von Regierungserklärungen würde der Titel „Autokanzlerin“ Angela Merkels Verbleib im Amt gefährden. Reflexsicher hat Martin Schulz nun mit seinen Forderungen nach einem härteren Vorgehen gegen die Branche und Quoten für Elektrofahrzeuge einen Auto-Wahlkampf eröffnet, der für die Branche nicht gut ausgehen kann.

Die Konzerne haben vor allem vertröstet

Diese Stimmung haben sich die Konzerne hart erarbeitet. Da waren die kriminellen Abgasmanipulationen bei VW, das extreme Ausreizen – und womöglich mehr – von Thermofenstern, um die Abgasreinigung auszuschalten, vor allem aber die hinhaltende und alles andere als einsichtige Art der Aufarbeitung. Statt als Botschaft ein „Wir haben verstanden“ auszusenden, vertrösten die Konzerne Politik und Kunden mit Software-Updates, an deren Wirksamkeit vor allem sie selbst glauben. Und wer sich wie VW-Chef Müller lieber Zukunftsthemen zuwenden möchte, statt die Altlasten zu bereinigen, der brüskiert nicht nur wohlmeinende Politiker und riskiert Fahrverbote. Wer so redet, muss sich auch nicht wundern, wenn er und seine Kollegen öffentlich inzwischen vermutlich so beliebt sind wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann während der Finanzkrise. Für die Branche sind solche einsichts- und demutsfreien Auftritte wie beim Autogipfel letzte Woche jedenfalls eine echte Gefahr.

Was Müller und seine Mitstreiter nicht verstanden haben: Ohne eine glaubwürdige Aufklärung der Dieselaffäre und ohne für die Kunden zufriedenstellende Lösungen wird der erforderliche Übergang in eine neue Automobilwelt nicht gelingen. Dabei sind die Herausforderungen für die Branche in den nächsten Jahren beispiellos. Sie sind ohne den Verbrennungsmotor im Allgemeinen und den Diesel im Besonderen nicht zu bewältigen. Denn zum einen benötigen Daimler, VW und Co. weiterhin hohe Einnahmen, um die erforderlichen Milliarden in die Entwicklung neuer Antriebstechniken und Geschäftsmodelle sowie in autonomes Fahren investieren zu können. Zum anderen sind kurzfristig die Klimaziele ohne den Diesel nicht zu erreichen.

Die Autoindustrie hat Wohlstand geschaffen

Umgekehrt sollte man in der ganzen Diskussion die Kirche auch im Dorf lassen und sich vom Schwarz-Weiß-Denken befreien. Die Autoindustrie ist die wichtigste Branche in Deutschland und gerade in Baden-Württemberg. 800 000 Arbeitsplätze sind Grundlage dafür, dass Wohlstand geschaffen und erhalten wurde, dass die Menschen Essen gehen, Häuser kaufen und in Urlaub fahren. Stuttgart etwa, das zeigte sich dieser Tage erneut, ist vor allem wegen dieser Wertschöpfung die wirtschaftsstärkste Stadt Deutschlands.

Wer das mit maßloser Kritik aufs Spiel setzt, handelt mehr als fahrlässig. Wenn die Autobranche in die Knie geht, gehen hier im Lande viele Lichter aus. Ohnehin ist das Verhalten der Deutschen ambivalent: Nicht wenige der Kunden, die nun der Autobranche ihr Vertrauen entziehen, haben sich selbst für einen Großstadt-SUV und gegen das Dreiliterauto entschieden. Ein bisschen Demut stünde also auch uns Autokäufern nicht schlecht zu Gesicht.