Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Die aktuelle DSDS-Staffel ist eine geradezu ideale Blaupause der Branche. Im Finale steht ein Junge namens Daniele, der Rebell. Er raucht, war im Wohnheim, hat geklaut, und seinen leiblichen Vater hat er angeblich noch nie gesehen. Der andere heißt Luca, ein süßer Mädchenschwarm, dessen Freundin von RTL und dem medialen Doppelpasspartner „Bild“ fast totgeschwiegen wird. So funktioniert Fernsehen, und so war es lange ja auch ein gigantischer Erfolg. Eine bildgewaltige, brillante Inszenierung. „Die Kandidaten werden in ein Raster gepresst und funktionieren nur noch als Stereotypen“, sagt Pörksen. Dessen scheinen die Leute überdrüssig, wie auch der ganzen Castingindustrie. Nach anfänglichen Erfolgen haben auch betont weichere Formate wie „The Voice of Germany“ große Quotenprobleme.

 

Hinter dem Coloneum, der Heimat von DSDS, hat sich in einem riesigen blauen Kasten der schwedische Möbelriese Ikea niedergelassen. Ein passender Nachbar, Massenware hier wie dort. DSDS verkauft den Traum vom Ruhm. Heraus kommt statt des steilen Aufstiegs auf der Karriereleiter kaum mehr als eine Laufbahn wie ein Billy-Regal, instabil und von kurzer Dauer. Mediale Eintagsfliegen. Eine Fabrik des Flüchtigen. Superstars produziert DSDS nicht, hat es noch nie. Die Namen der Teilnehmer sind so vergänglich wie ein Bohlen-Popsong. RTL produziert bei seiner Superstarsuche kaum mehr als Frischfleisch für die Formate der Sendergruppe. Tanzen („Let’s Dance“), Kochen („Promi-Dinner“) oder Rumhängen („Dschungelcamp“) – das wartet am Ende.

Fernsehnomaden ziehen durch Europa

Trotzdem finden sich noch immer viele Teenager, die an den Cinderella-Mythos glauben. Prominenz an sich ist unter Jugendlichen ein Wert, auch dank DSDS, 15 Minuten Ruhm ein lohnenswertes Ziel, „selbst im versunken idyllischen Tübingen“, wie Pörksen sagt. Oder in der Schweiz, bei dem jungen Jesse. Sein Ziel? Ruhm. Er hat es beim „Supertalent“ versucht und bei „The Voice“, er war beim Schweizer Ableger „DGST“ („Die größten Schweizer Talente“), nun bei DSDS. Es gibt viele wie ihn, die dem Traum vom Berühmtheit hinterhecheln und durch die Shows tingeln. Von RTL zu Pro 7 oder Sat 1. Fernsehnomaden auf der Suche nach dem großen Ruhm. Die Berufsgruppe der professionellen Castingteilnehmer. Eine junge Dame hält nach der Show Jesse, dem Sänger mit der guten Stimme, ein Mikrofon mit den Logos von RTL, Vox und N-TV unter die Nase. Ob er sich vorstellen könne, bald bei „Let’s Dance“ mitzumachen? Nein, nein, sagt Jesse. „Ich war jetzt bei genügend Castings.“ Er wolle weiter an der Karriere arbeiten und alles dafür tun, nicht nach einem halben Jahr wieder weg zu sein.

Unverbrauchte Gesichter sind rar geworden. Und auch das ist eines der Probleme für die Formate. Castingagenturen klagen, dass sie kaum noch Darsteller finden, die nicht schon mal irgendwo bei irgendwem irgendwas gemacht haben. Wer wollte, war schon im Fernsehen. Während bei Formaten wie DSDS die Bewerberzahlen zumindest weiter hoch sind, geht dem restlichen Trash-TV der Treibstoff aus. „Bauer sucht Frau“ auf RTL findet keine Bauern mehr, „Frauentausch“ bei RTL 2 kaum noch Menschen, die sich für ein paar Hundert Euro zum Opfer machen wollen. Deutschland ist durchgecastet.

Vor zehn Jahren hat RTL mit der ersten Sendung von „Deutschland sucht den Superstar“ das Fernsehen revolutioniert. Es trat an mit dem Versprechen, Stars zu schaffen, und bediente stattdessen Voyeurismus und niedere Instinkte jener, die Freude an der Hinrichtung von Menschen finden. Der „Spiegel“ hat diese Formate kürzlich als eine Art Labor der Ellenbogengesellschaft charakterisiert, als eine Ausgeburt seiner Zeit.

Deutschland ging es 2002 schlecht, kein Wachstum, Entlassungswellen, Diskussionen über Hartz IV und den Zustand des Bildungssystems. In diesem Umfeld vieler offener sozialer Fragen ging DSDS auf Sendung und bot einfache Antworten an. Jeder kann es schaffen. Sei stärker als der andere, sei besser. Das offerierte man. Brutal im Ton, knallhart in der Darstellung der Schwächen – das zeigte man. Die Kaderschmiede des Neoliberalismus mit Dieter Bohlen als Ikone der Nur-die-Harten-kommen-in-den-Garten-Philosophie. Die „Spiegel“-Conclusio: der Neoliberalismus ist tot, Castingshows sind tot. Pörksen sieht andere Gründe für die Baisse der Castingshows. Er sagt: „Die Formate haben sich selbst korrumpiert, sie sorgen für einen Inszenierungsüberdruss, sie behaupten Authentizität, aber sie können keine liefern.“

Deutschland ist durchgecastet

Die aktuelle DSDS-Staffel ist eine geradezu ideale Blaupause der Branche. Im Finale steht ein Junge namens Daniele, der Rebell. Er raucht, war im Wohnheim, hat geklaut, und seinen leiblichen Vater hat er angeblich noch nie gesehen. Der andere heißt Luca, ein süßer Mädchenschwarm, dessen Freundin von RTL und dem medialen Doppelpasspartner „Bild“ fast totgeschwiegen wird. So funktioniert Fernsehen, und so war es lange ja auch ein gigantischer Erfolg. Eine bildgewaltige, brillante Inszenierung. „Die Kandidaten werden in ein Raster gepresst und funktionieren nur noch als Stereotypen“, sagt Pörksen. Dessen scheinen die Leute überdrüssig, wie auch der ganzen Castingindustrie. Nach anfänglichen Erfolgen haben auch betont weichere Formate wie „The Voice of Germany“ große Quotenprobleme.

Hinter dem Coloneum, der Heimat von DSDS, hat sich in einem riesigen blauen Kasten der schwedische Möbelriese Ikea niedergelassen. Ein passender Nachbar, Massenware hier wie dort. DSDS verkauft den Traum vom Ruhm. Heraus kommt statt des steilen Aufstiegs auf der Karriereleiter kaum mehr als eine Laufbahn wie ein Billy-Regal, instabil und von kurzer Dauer. Mediale Eintagsfliegen. Eine Fabrik des Flüchtigen. Superstars produziert DSDS nicht, hat es noch nie. Die Namen der Teilnehmer sind so vergänglich wie ein Bohlen-Popsong. RTL produziert bei seiner Superstarsuche kaum mehr als Frischfleisch für die Formate der Sendergruppe. Tanzen („Let’s Dance“), Kochen („Promi-Dinner“) oder Rumhängen („Dschungelcamp“) – das wartet am Ende.

Fernsehnomaden ziehen durch Europa

Trotzdem finden sich noch immer viele Teenager, die an den Cinderella-Mythos glauben. Prominenz an sich ist unter Jugendlichen ein Wert, auch dank DSDS, 15 Minuten Ruhm ein lohnenswertes Ziel, „selbst im versunken idyllischen Tübingen“, wie Pörksen sagt. Oder in der Schweiz, bei dem jungen Jesse. Sein Ziel? Ruhm. Er hat es beim „Supertalent“ versucht und bei „The Voice“, er war beim Schweizer Ableger „DGST“ („Die größten Schweizer Talente“), nun bei DSDS. Es gibt viele wie ihn, die dem Traum vom Berühmtheit hinterhecheln und durch die Shows tingeln. Von RTL zu Pro 7 oder Sat 1. Fernsehnomaden auf der Suche nach dem großen Ruhm. Die Berufsgruppe der professionellen Castingteilnehmer. Eine junge Dame hält nach der Show Jesse, dem Sänger mit der guten Stimme, ein Mikrofon mit den Logos von RTL, Vox und N-TV unter die Nase. Ob er sich vorstellen könne, bald bei „Let’s Dance“ mitzumachen? Nein, nein, sagt Jesse. „Ich war jetzt bei genügend Castings.“ Er wolle weiter an der Karriere arbeiten und alles dafür tun, nicht nach einem halben Jahr wieder weg zu sein.

Unverbrauchte Gesichter sind rar geworden. Und auch das ist eines der Probleme für die Formate. Castingagenturen klagen, dass sie kaum noch Darsteller finden, die nicht schon mal irgendwo bei irgendwem irgendwas gemacht haben. Wer wollte, war schon im Fernsehen. Während bei Formaten wie DSDS die Bewerberzahlen zumindest weiter hoch sind, geht dem restlichen Trash-TV der Treibstoff aus. „Bauer sucht Frau“ auf RTL findet keine Bauern mehr, „Frauentausch“ bei RTL 2 kaum noch Menschen, die sich für ein paar Hundert Euro zum Opfer machen wollen. Deutschland ist durchgecastet.

In wenigen Tagen startet das nächste Format, wieder auf RTL, wieder mit Dieter Bohlen. „DSDS Kids“, heißt es. Kinder als letzte Rettung, das letzte Aufgebot im Kampf um Quote. Bernhard Pörksen nennt es eine „aggressive Asymmetrie“. Hier der übergroße Casting-Leviathan Bohlen, dort kleine, verletzliche Kinder. Macht und Ohnmacht, wie der Kontrast größer kaum sein könnte. Pörksen fragt sich, was als Nächstes kommt, welche Gruppe der Ohnmächtigen folgen könnte. „Vielleicht lässt man eines Tages Gefängnisinsassen gegeneinander antreten.“ RTL wird bei „DSDS Kids“ eine betont sanfte Inszenierung wählen, keine Hinrichtungen, sondern große Gefühle. Vielleicht endet der Castingwahn auch mit den Kindern. Pörksen sagt: „Polemisch könnte man feststellen: wenn es aufs Ende zugeht, das letzte Gefecht zu schlagen ist, wird die Kinderarmee bestellt.“