Der schwäbische Komponist Dieter Schnebel hatte sich sehr auf die Aufführung seines Musiktheaters „Utopien“ durch die Neuen Vocalsolisten gefreut. Sie musste aber ohne ihn stattfinden.

Stuttgart - „Er hätte eigentlich bei dieser Aufführung dabei sein sollen“, sagt Christine Fischer, die Intendantin von Musik der Jahrhunderte, die die Aufführung von Dieter Schnebels „Utopien“ mitveranstaltet hat. „Er hatte sich sehr darauf gefreut.“ Als Auftaktkonzert des „Sommers in Stuttgart“ wurde das Musiktheater, das vor wenigen Tagen vom Schott-Verlag zum „Werk der Woche“ gekürt wurde, in der ausverkauften Hospitalkirche aufgeführt.

 

Schnebel verstarb am Pfingstsonntag

Der Komponist ist am Pfingstsonntag 88-jährig verstorben. Schnebel war bekannt dafür, sämtliche Grenzen der menschlichen Stimme auszuloten. In jüngeren Jahren gründete er das experimentelle Ensemble der „Maulwerker“, das alles Mögliche tat, außer im traditionellen Sinne zu singen – sein Musiktheater „Utopien“ sollte aber von den Neuen Vocalsolisten aufgeführt werden. Nicht ohne Grund – denn vor allem im Ensemble entfaltet sich in der Hospitalkirche die ganze Pracht der sechs Stimmen.

Hölderlin auf Schwäbisch

Die Musik ist unkompliziert und durchsetzt von musikalischen Zitaten. Man erkennt Bruckner, ein wenig Wagnersche Tristan-Harmonik und Minimal-Music-Passagen. Das macht das Zuhören kurzweilig, doch es verwundert auch: So simpel kennt man Schnebel gar nicht. Auch optisch wurde minimalistisch gearbeitet. Auf der erhöhten Bühne steht ein Kubus, von grauen Vorhängen verhüllt. Die Sänger stolzieren, rennen, flüchten, schreiten um ihn herum. Die Anzahl und Richtung der Schritte ist genau in der Partitur vorgegeben, der Regisseur Matthias Rebstock hatte bei seiner Arbeit wahrlich nicht viele Freiheiten. Doch es gelingt, das Publikum immer wieder zu überraschen. Mit Puppen, die nur aus Beinen und einem leeren Jackett bestehen, unterstreichen die Vocalsolisten die gesungenen und rezitierten Texte. Außerdem kommt Schnebels Stimme selbst zum Einsatz: Mit seinem unverkennbar schwäbischen Dialekt nimmt er einige Passagen von der Uraufführung 2014 auf, die dann im Konzert eingespielt werden.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Es gibt wenig Brechungen in diesem Werk, das auf Texten von Morus, Descartes, Hölderlin und anderen sinnsuchenden Denkern aufbaut, dafür viele direkte Aussagen. Schnebel, Komponist, Musikwissenschaftler und Theologe, hat sich aus den Perspektiven aller seiner Professionen mit den drei christlichen Tugenden auseinandergesetzt: Glaube, Liebe, Hoffnung. Solche direkten Sinnangebote ist das Avantgarde-Publikum heute nicht mehr gewohnt. Vielleicht wird es gerade deshalb von diesen drei großen Themen mitten in das nicht auf eine musikalische Predigt eingestellte Herz getroffen.