"Tatort"-Kommissar Dietmar Bär spricht im Interview über seinen neusten Film „Kehrtwende“. Darin spielt er einen prügelnden Lehrer.

Stuttgart - Am Mittwochabend mutet das Erste den Zuschauern einen schwierigen Stoff zu. Der Schauspieler Dietmar Bär hält das für einen wichtigen Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

 

Herr Bär, jeder Schauspieler träumt von einer facettenreichen Rolle wie dieser Hauptfigur in "Kehrtwende": ein Lehrer, eigentlich ein netter Kerl, der unter Druck aber immer wieder seine Frau verprügelt - und sich schließlich völlig wandelt. Wie wichtig ist es für Sie, dass dieser Thomas Schäfer ein Mensch aus der Mitte der Gesellschaft ist?

Ganz wichtig. Wir wollten unbedingt verdeutlichen: das passiert überall. Und das Spektrum ist groß - vom kleinen Klaps auf den Hinterkopf, der angeblich das Denkvermögen erhöht, bis zum Totschlag.

Dabei ist Schäfer nicht mal ein Monster. Liegt das an Ihrer Interpretation oder stand das schon so im Drehbuch?

Das ist vor allem eine Frage der Inszenierung. Und natürlich der Besetzung: Bei einem Kollegen mit eindeutigerer Physiognomie und anderer Ausstrahlung wäre die Figur vermutlich schon vorbelastet gewesen.

Spielt Ihre Filmografie nicht eine Rolle? Sie verkörpern überwiegend Sympathieträger.

Der "Tatort" spielt aus Sicht der Zuschauer natürlich eine große Rolle. Aber ich versuche trotzdem immer wieder, diametral zu arbeiten und die Köpfe der Zuschauer aufzuschrauben, dafür bin ich schließlich Schauspieler geworden. Viele Leute glauben, dass sie mich kennen, das ist eine der vielen Ambivalenzen dieses Berufes. Dabei kennen sie allenfalls Freddy Schenk, und das ist nur eine erfundene Figur.

Schenk ist ja in den Augen seiner Fans ein eher gemütlicher Zeitgenosse...

Es gibt aber genug Leute, die den gar nicht so gemütlich finden. Es war mir nicht klar, wie viele Les- und Seharten dieser Figur möglich sind. Aber auch Schäfer hat ja völlig unterschiedliche Gesichter. In seiner Schule kann sich niemand vorstellen, dass er seine Frau verprügelt.

Die Szenen, in denen Sie Ihre Filmpartnerin verprügeln, wirken bedrückend realistisch. Wie viel musste Inka Friedrich einstecken?

Wo gehobelt wird, da lassen sich Späne nicht immer vermeiden. Inka war meine Wunschpartnerin für den Film und in diesen Szenen sehr furchtlos.

Mussten Sie sich auf die Rolle des prügelnden Familienvaters besonders vorbereiten?

Ich habe keine psychologischen Bücher gelesen, falls Sie das meinen. Ich hatte überlegt, an so einem Anti-Gewalt-Seminar teilzunehmen, wie es auch Film beschrieben wird, aber da stand mir dann doch meine Prominenz im Weg. Außerdem war das Drehbuch von Johannes Rotter, mit dem ich seit Dortmunder Jugendtagen befreundet bin, ganz ausgezeichnet. Ich arbeite ohnehin sehr aus dem Bauch heraus und spüre rasch, wenn es Schwachstellen gibt.

Dietmär Bär über den "Tatort"

Glauben Sie, ein Film kann etwas bewirken?

Wir können in neunzig Minuten keine allgemeingültigen Antworten geben und erst recht keine Lösung anbieten. Ich glaube auch nicht, dass Filme die Welt verändern, aber zumindest können wir die Anregung geben, im eigenen Umfeld nicht mehr schweigend und tatenlos zuzusehen. Außerdem bin ich der Meinung, dass solche Stoffe wichtiger Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags sind, heute noch mehr als vor dreißig Jahren.

Erfüllt es Sie mit Stolz, dass Ihr Brötchengeber, der WDR, immer wieder unbequeme Filme wie "Kehrtwende" drehen lässt?

Ja, ein großes Lob für die Redaktion. In den Siebzigern und Achtzigern gab es solche Filme jede Woche, aber mittlerweile ist es schwer, diese Stoffe durchzusetzen. Zum Glück gibt es noch Redakteure und Produzenten, die für solche Stoffe kämpfen.

Ist das Engagement als "Tatort" eigentlich ein Hindernis für Rollenangebote?

Das Standbein "Tatort" frisst eine Menge Zeit. Aber ich versuche trotzdem, einmal im Jahr etwas anderes zu machen. Dank "Tatort" genieße ich das unverschämte Glück, mir das Beste rauspicken zu können. Außerdem habe ich natürlich den Vorteil, dass die Rollen, die ich erzählen kann, sehr speziell sind.

Wie meinen Sie das?

Ich habe schon bei der Aufnahmeprüfung auf der Schauspielschule nicht zu den 400 Hamlets gehört, die auch da waren. Ich war immer schon ein Charakterdarsteller und nie auf den jugendlichen Helden oder den Liebhaber festgelegt, der furchtbare Angst davor hat, älter zu werden, weil dann die Angebote ausbleiben. In meinem Fach gibt es auch mit fünfzig noch gute Rollen.

Ist "Tatort" nicht trotzdem auch ein großer Verhinderer?

Nein, das ist ein goldener Arbeitsplatz, ein tolles Privileg. Ich kenne viele großartige Kollegen, die froh sind, wenn sie mal ein paar Arbeitstage haben. Kürzlich hat mir eine mehrfache Filmpreisträgerin erzählt, dass sie im letzten Jahr gerade fünf Drehtage hatte. Und sie gilt als vielbeschäftigt. Das ist ein Skandal, vor allem, wenn man sich anschaut, welche talentfreien Kolleginnen permanent besetzt werden, weil sie sichere Quoten bringen.

Jenseits der Kölner Polizei

Kommissar: Dietmar Bär, am 5. Februar fünfzig geworden, ist Dortmunder und bekennender BVB-Fan. Spätestens seit 1997, als er die Rolle von Freddy Schenk im Kölner "Tatort" übernahm, gehört der mit dem deutschen Fernsehpreis Ausgezeichnete zu den beliebtesten deutschen Schauspielern. Seine Vielseitigkeit zeigt er in Fernsehproduktionen wie "Drechslers zweite Chance" und Theaterengagements.

Termin: Mittwoch 20.15 Uhr, ARD