Wie verändern Online-Dienste und Gadgets unser Leben? Das diskutieren Experten in Stuttgart – aber nur, solange sie das Publikum reden lässt. Oft erteilen sich die Zuhörer selbst das Wort und beschreiben ihr Gefühl der Ohnmacht.

Stuttgart - Am lustigsten ist an diesem Abend der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Bruce Sterling. In einem Videostatement zieht er Parallelen zwischen Facebook und dem Rauchen: Am Anfang sei es cool, doch später komme der Husten, man habe Schleim in der Lunge und gelbe Finger. „Viele wären überrascht, wie befreiend es sein kann, von Facebook loszukommen.“ Das ist ganz nach dem Geschmack des Publikums im Haus der Wirtschaft, das in seinen Fragen und Kommentaren durchweg kritisch über das Internet und dessen Möglichkeiten spricht. Es wird von einer Gedankenpolizei geredet, die sich bilde, und davon, dass auch verschlüsselte E-Mails nicht sicher seien – eine Mischung aus Ängsten und Hoffnungslosigkeit.

 

Aber es gibt eben auch heitere Momente mit Bruce Sterling. In einem anderen Clip spielt er in Gedanken durch, wie es wäre, wenn die NSA ihre Datenbanken für jedermann zugänglich machen würde. Es gäbe sicher viele Interessenten, prophezeit er. Mit diese schrägen Idee will er eine These verdeutlichen: Daten sind nicht böse, auch gesammelte Daten nicht; es komme vielmehr darauf an, wer die Peitsche schwinge und wer die Schläge einstecken müsse.

Das Publikum darf nach jedem Beitrag entscheiden, wer als nächstes das Wort erhält: ein weiterer Experte im Video, einer der beiden Experten auf der Bühne oder jemand aus dem Publikum. Abgestimmt wird mit Laserpointern: Man zielt damit auf ein Feld auf der Leinwand. Das klingt einfacher, als es ist, denn welcher der gut hundert roten Punkte ist der eigene? Viele Laserpointer zeigen an die Decke, und ihre Nutzer merken nicht, dass sie es sind, die ungültig abstimmen.

Die Helmholtz-Gemeinschaft, der Verbund der großen deutschen Forschungszentren, hat sich dieses Format zum Wissenschaftsjahr 2014 ausgedacht und wird nach dem Auftakt in Stuttgart in andere Städte ziehen. Das Format ähnele einer Internetrecherche, heißt es im Blog zur Veranstaltung. Man beginne mit einem Schlagwort und springe dann von einer Website zur nächsten. Aber es gibt einen Unterschied zu den interaktiven Online-Diensten: Hier sitzt man in überschaubarer Runde zusammen. Bei den Giganten wie Google ist hingegen vielen nicht ganz wohl.

Konsens der Experten: die Revolution hat erst begonnen

Ein Zuhörer, der sagt, er habe seine Diplomarbeit noch mit der Schreibmaschine geschrieben, kommt an die Reihe und erwähnt seine dreijährigen Enkel, die wie selbstverständlich mit Tablet-Computern umgehen. Er habe den Eindruck, dass er ohne Profil in sozialen Netzwerken inzwischen ein Nobody sei. Bei Bewerbungen komme man doch ohne nicht mehr aus. Der Philosoph Stefan Münker von der Humboldt-Universität Berlin, einer der beiden Experten auf der Bühne, darf antworten: Es gebe auch Jobs, für die man einen Führerschein brauche.

Überhaupt erkennt Münker manche Sorge nicht an, weil sie nicht neu sei: Nachrichtendienste hätten auch früher schon manches gewusst, was geheim bleiben sollte, und Menschen hätten auch früher schon an ihrer Selbstdarstellung gefeilt. Er plädiert dafür, die neuen Technologien anzunehmen, denn nur dann könne man sie gestalten. Seine Kontrahentin auf dem Podium ist die Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart. Sie sagt, sie verstehe nicht, warum in der digitalen Welt vieles aus der analogen Welt nicht gelte – beispielsweise die Benimmregeln. Und sie wünscht sich mehr Einsatz von der Politik. Wer seine Daten preisgeben wolle, sollte das zum Beispiel ausdrücklich erklären müssen, indem er an der entsprechenden Stelle im Menu ein Häkchen setzt. Doch viele Programme seien anders eingestellt. Dort müsse der Nutzer erst suchen, wie er die Datenpreisgabe verhindern kann.

In einem Punkt scheinen sich Münker und Grimm einig zu sein: Die digitale Revolution stehe erst am Anfang, sagen beide. Doch schon im nächsten Satz offenbaren sich unterschiedliche Ansichten: „Die Folgen für unser Leben sind noch nicht abschätzbar“, sagt Petra Grimm und lässt ihre Sorge mitschwingen, dass eine zu passive Gesellschaft überrollt wird. Der Optimist Stefan Münker betrachtet den Wandel hingegen als lösbare Herausforderung. In 30 Jahren werde man sicher ein neues globales Urheberrecht haben. Bloß: „Wir haben keine Ahnung, was noch alles passiert.“