Das digitale Klassenzimmer ist in Corona-Zeiten so wichtig wie nie. Verbände klagen jedoch über dramatische Rückstände. Bei der Digitalisierung müsse die Kultusministerin gehörig nachsitzen.

Stuttgart - Zu wenige Laptops, zu wenig und zu langsames Internet, zu wenig Fortbildung: Den Bildungsverbänden geht die Digitalisierung an den Schulen im Land viel zu langsam voran. Diese Klagen sind nicht neu. Aber die Corona-Krise hat die Rückstände aus ihrer Sicht noch sichtbarer gemacht und deutlich verschärft. Außerdem haben die Verbände nun die öffentlichen Schulen im Land dazu befragt.

 

Der Vorsitzende des Vereins für Gemeinschaftsschulen, Matthias Wagner-Uhl, sprach am Montag von niederschmetternden Ergebnissen. Der Schmerz sei groß bei den Schulen. 1000 Schulleiter hätten sich gleich am ersten Tag der Umfrage zurückgemeldet. Die meisten Schulen sehen sich demnach nicht oder nur bedingt in der Lage, ordentlich Fernunterricht anzubieten. Die größten Baustellen:

Geräte

Es mangelt landesweit an PCs, Laptops und Tablet-Computern in den Klassen- und Lehrerzimmern. Die Verbände haben die Ausstattung mit solchen Geräten zu einer Quote berechnet. Digitalisierter Unterricht ist aus ihrer Sicht nämlich erst ordentlich möglich, wenn sich maximal zwei Nutzer an einer Schule ein Gerät teilen müssen. An knapp 95 Prozent der Schulen teilen sich aber mehr Personen ein Gerät. An mehr als jeder vierten Schule müssen sich zehn oder mehr Schüler und Lehrer ein Gerät teilen. Nur an 0,5 Prozent der Schulen ist jeder mit einem Endgerät ausgestattet. Außerdem sind bei der Quote auch die PCs im Computerraum eingerechnet, obwohl die eigentlich für digitalen Unterricht im Klassenzimmer nicht zur Verfügung stehen.

Internetanschlüsse

Auch die Versorgung mit Internetanschlüssen in den Schulgebäuden ist der Umfrage zufolge in drei von vier Schulgebäuden so mangelhaft, dass es den digitalen Unterricht behindert. Ähnlich schlecht sieht es aus bei der Flächenversorgung mit WLAN in den Schulgebäuden. 31 Schulen gaben sogar an, gar keinen Internetanschluss zu haben. 19 Schulen konnten zu der Frage keine Angaben machen.

Internetgeschwindigkeit

Auch wenn Schulen über einen Internetanschluss verfügen, sagt das noch nichts über die Geschwindigkeit aus. Nur 7,5 Prozent der Schulen stoßen bei der Geschwindigkeit in den Gigabit-Bereich vor und bringen mindestens 1000 Megabit pro Sekunde auf den Daten-Tacho. Nach Berechnung der Verbände hat nur jede dritte Schule genug Bandbreite für jeden einzelnen Nutzer, um digitalen Unterricht zu gestalten.

Medienentwicklungsplan

Der Digitalpakt soll Schulen eigentlich in ein neues Zeitalter hieven. Der Bund stellt fünf Milliarden Euro zur Verfügung - davon 650 Millionen für Baden-Württemberg. Aber der Geldfluss stockt. Die Ausschüttung der Mittel wurde an die Erstellung eines Medienentwicklungsplans geknüpft. Mehr als drei Viertel aller Schulen der Stichprobe haben noch nicht mit der Umsetzung beginnen können. Um den Zugang zu den Geldern zu beschleunigen, können Schulträger seit kurzem ihre Anträge zunächst ohne Medienentwicklungsplan stellen und müssen diesen erst mit der Abrechnung der Maßnahme vorlegen.

Wartung

Es reicht auf Dauer nicht, einfach mehr Laptops in die Klassenzimmer zu stellen. Moderne Elektronik ist innerhalb wenigerJahre veraltet und muss kontinuierlich gewartet werden. „Wir wollen keine Technikfriedhöfe“, warnt Michael Futterer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Es brauche einen zweiten Digitalpakt, der Wartung und Dienstleistung mit einschließe, fordert Wagner-Uhl. Es wäre pragmatisch, wenn man externe Dienstleister einkaufen und Geräte leasen könnte.

Die Verbände warfen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Montag schwere Versäumnisse in dem Bereich vor. Eisenmann habe das Thema Digitalisierung sträflich vernachlässigt. Die Schulen seien mit den Leitlinien aus dem Ministerium überfordert, kritisierte Wagner-Uhl. Die Kultusministerin habe mit Weiterbildungen für den digitalen Unterricht gegeizt, beschwerte sich SPD-Bildungspolitiker Stefan Fulst-Blei. Michael Futterer von der GEW forderte klare Vorgaben aus dem Ministerium, wohin die Reise geht. Jede Schule stricke derzeit eigene Lösungen.

Ministerium sieht sich nicht alleine in der Verantwortung

Und was sagt das Ministerium? Der Nachholbedarf bei der digitalen Ausstattung der Schulen sei bundesweit unbestritten hoch, teilte eine Sprecherin mit. Das Ministerium sieht sich bei dieser Mammutaufgabe aber nicht alleine in der Verantwortung. Beim schnellen Internet seien etwa die Kommunen als Schulträger gefragt. Man arbeite zudem weiter an einer der digitalen Bildungsplattform – Eisenmann stellt ein Lernmanagementsystem mit dienstlicher E-Mail-Adresse für Lehrer sowie Programme zur Zusammenarbeit inklusive sicherem Instant-Messenger in Aussicht. Auch gebe es Tablet-Projekte und Lernfabriken an Schulen im Land, betonte die Sprecherin.

130 Millionen Euro stünden zudem zur Verfügung, um unbürokratisch 300 000 Tablets und PCs zu besorgen – die Schulen seien bereits dabei. Die Sprecherin sagte aber auch, eine hervorragende digitale Ausstattung mache den Unterricht nicht unmittelbar besser. Deshalb stärke man auch die Fortbildung der Lehrer in dem Bereich.