Die Pfarrer Nicolai Opifanti und Sarah Schindler aus Stuttgart treiben die Digitalisierung der Landeskirche voran. Was stellen sie sich vor?

Degerloch/Zuffenhausen - Unter blassem, pastellgelbem Himmel, zwischen Weinbergen und Wiesen – in einem vierminütigen Youtube-Video spaziert Pfarrerin Sarah Schindler durch die Stuttgarter Idylle, erzählt von Freundschaften und Enttäuschung. Statt eines Talars trägt die 33-Jährige Blazer, T-Shirt und Jeans. Begleitet wird sie von einem Produktionsteam des Medienhauses.

 

Die Videos zeichnen ein modernes Bild der evangelischen Landeskirche. Was die Pfarrerin Sarah Schindler aus Zuffenhausen und Pfarrer Nicolai Opifanti aus Stuttgart-Degerloch bisher ehrenamtlich gemacht haben, wird ab September honoriert. Zwei 50-Prozent-Projektstellen für Pfarrdienst im digitalen Raum hat die Landeskirche eingerichtet, um mit dem Zeitgeist Schritt zu halten.

Resonanz auf digitale Gottesdienste war hoch

In der Coronazeit haben die beiden Pfarrer zehn- bis 15-minütige Gottesdienste per Instagram übertragen. Sie hätten ihre Followerinnen und Follower auch aufgerufen, selbst Fürbittengebete zu sprechen und Liedwünsche zu äußern. „Wir waren überrascht, wie hoch die Resonanz war. Vielleicht, weil die Hemmschwelle niedriger ist, mit einem Klick abzustimmen, als in der Kirche aufzustehen und nach vorne zum Altar zu laufen“, mutmaßt Schindler.

2000 bis 3000 Menschen hätten sich am Ende des Tages den digitalen Gottesdienst angeschaut, mehrere Hundert hätten live teilgenommen. „Wir haben so viele Fürbittengebete bekommen, dass es uns schwer fiel, eine Auswahl zu treffen“, erzählt sie. Ein Team habe ihnen nicht zur Seite gestanden. Stattdessen hätten sie gleichzeitig den Gottesdienst halten und die Wünsche koordinieren müssen. Das erfordert laut Schindler eine andere Art der Vorbereitung, als für gewöhnliche Gottesdienste. „Die digitalen Formate laufen sehr spontan ab. Bei analogen Gottesdiensten ist die Vorarbeit wichtig“, so die Pfarrerin.

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Auch Seelsorge findet digital statt. Schindler stellt fest, dass der Erstkontakt schnell aufgebaut werden kann und Menschen sich durch eine höhere Anonymität eher offenbaren. Andererseits sei es wichtig, die Ratsuchenden an eine Person in der unmittelbaren Umgebung zu vermitteln.

Auch analoge Gottesdienste sollen sich ändern

Die digitalen Gottesdienste hätten sie vieles gelehrt. Analoge Gottesdienste sollen in Zukunft interaktiver gestalten werden. Es soll lebensnaher gepredigt werden. Die Menschen sollen über Themen des Glaubens ins Gespräch kommen. „Für diese Gespräche gibt es momentan noch keine Kultur in den Kirchen“, so Schindler. „Wir haben auch gemerkt, dass Menschen gerne draußen Gottesdienste hören. In Zukunft soll es abwechslungsreicher werden“, ergänzt sie. Zudem wollten sie kürzer predigen. „Die Menschen wollen heutzutage nicht mehr anderthalb Stunden in der Kirche sitzen.“ Im Schnitt würden die 45-minütigen digitalen Gottesdienste acht Minuten angeschaut.

Ob bei kurzen Gottesdiensten die Muße, das Innehalten verloren geht? Man dürfe das eine nicht gegen das andere ausspielen, sagt Schindler. Die 50-Prozent-Stellen seien bewusst an analoge Gemeindestellen angedockt. Durch die digitalen Formate wolle man auch Sehnsucht wecken, wieder in die Kirche zu gehen.

Die Zielgruppe ist von 25 bis 40 Jahre alt. „Wir wollen besonders die Generation ansprechen, die die Zukunft der Kirche gestalten wird. Viele junge Menschen denken, die Kirche spricht sie nicht in ihrer modernen Lebenswelt an. Wir wollen ihnen zeigen: Kirche muss nicht verstaubt und altbacken sein“, erzählt die 33-jährige Pfarrerin. „Wir müssen dorthin gehen, wo die Menschen sind, und nicht warten, dass sie zu uns kommen.“ Sie hofft, dass in Zukunft aus jeder Kirche eine Liveübertragung stattfinden kann.