Von analog zu digital. Das klingt erst einmal gut. Doch als mitten in einem Bauvorhaben im Land der digitale Fortschritt einziehen sollte, ging es erst einmal rückwärts. „Das Baurechtsamt hat bei einem 50-Millionen-Bauprojekt drei Monate gebraucht, um das Zertifikat für die elektronische Unterschrift zur Genehmigung zu erstellen“, sagt Albert Dürr, Chef der Stuttgarter Baufirma Wolff & Müller: „Wie kommt so was? Wir waren gerade zusammen mit der Verwaltung dabei, den Bauprozess für dieses Projekt klassisch analog sauber aufzugleisen, da sollte mittendrin in der Planung auf digital umgestellt werden.“
Für den Ministerpräsidenten Chefsache
Dürr ist dabei keinesfalls ein Skeptiker, wenn es um das Thema innovatives Bauen geht. Störungen seien beim Einstieg in die Digitalisierung normal. In dem seit zwei Jahren tagenden, von der baden-württembergischen Landesregierung eingesetzten Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und Innovatives Bauen“ leitet er den Themenschwerpunkt zur Transformation und Digitalisierung der Bauwirtschaft.
Digitalisierung – das ist eines der Zauberworte, wenn es darum geht, das Bauen in Deutschland effizienter und bezahlbarer zu machen. So ist etwa die digitale Baugenehmigung eines der Modernisierungsthemen der CDU-Bauministerin Nicole Razavi. Ab 2025 müssen alle Bauanträge digital gestellt werden. Die Landtagsopposition kritisierte, dass dieser Schritt schon vor einer grundlegenden Reform der Landesbauordnung gemacht wurde.
Erst die Menschen, dann die Technologie
Für Dürr ist die Reihenfolge klar, vor dem D wie Digitalisierung müsse man erst A wie Amt sagen: „Es würde aus meiner Sicht beispielsweise schon helfen, wenn man in der Verwaltung viel früher zwischen den einzelnen Bereichen den Austausch miteinander suchen würde.“ In der öffentlichen Debatte werde häufig vernachlässigt, dass sich eine ganze Branche grundlegend wandeln müsse: „Und damit so ein Wandel erfolgreich sein kann, müssen die Menschen mitgenommen und erst einmal Lernprozesse durchlaufen werden.“
Digitalisierung braucht grundlegende Reformen
Philip Leistner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP und Professor an der Universität Stuttgart, der zusammen mit Dürr die Gruppe zum Thema Innovation im Strategiedialog leitet, sieht dies ähnlich. „Es reicht nicht, alle Einzelteile zu digitalisieren“, sagt er. Und selbst wenn quer über die Zuständigkeiten hinweg die Daten erfasst und einheitliche Schnittstellen festgelegt seien, bedeute das noch nicht schnellere Verfahren, höhere Produktivität und beherrschte Komplexität.
„Wir sollten nicht die Digitalisierung auf die Prozesse zuschneiden, sondern die Prozesse auf die Digitalisierung.“ Zugespitzt formuliert: Wenn die Digitalisierung die technologische Krücke ist, damit es weiter kompliziert bleiben kann, hat sie ihren Zweck verfehlt.
Dürr und Leistner werben deshalb bei diesem Thema um mehr Geduld. Es sei sinnvoll, größere Digitalisierungsschritte erst einmal in Pilotprojekten zu erproben. So fehlen teilweise noch die nötigen Schnittstellen zu den unteren Bauämtern.
Werden digitale Daten am Ende ausgedruckt?
„Dass vom kommenden Jahr an alle Bauanträge digital vorliegen müssen, ist ein erster Schritt“, sagt ein Sprecher des Landesbauministeriums: „Und natürlich kann es noch passieren, dass das anschließend dann doch ausgedruckt und analog weiter bearbeitet wird.“
95 Prozent der 208 Bauämter im Land seien prinzipiell bereit, sich mit einer vom Land propagierten, einheitlichen Software zu digitalisieren. Doch bis zum im vergangenen Herbst propagierten „virtuellen Bauamt“ ist noch eine Strecke zurückzulegen. 22 Ämter im Land seien hier schon im Vollbetrieb, heißt es im Ministerium – also etwa eines von zehn. Das sei immerhin fast so viel wie im Rest der Bundesrepublik zusammengenommen, sagt der Sprecher. Gezwungen werde aber keine Kommune. Stuttgart beispielsweise ist nicht dabei, weil man hier ein eigenes System nutzen will.
Als man die Landesbauordnung für den virtuellen Bauantrag fit gemacht habe, seien zudem einige Verwaltungsprozesse schon vereinfacht worden. Unter der Überschrift „schneller Bauen“ stehe aber die grundlegende Reform der Landesbauordnung in der Tat erst noch an.
Es geht um einen Kulturwandel
Auch im Staatsministerium räumt man ein, dass erst Veränderungen in der Verwaltung der Digitalisierung die nötige Durchschlagskraft geben werden. „Aktuell arbeiten wir an einer weiteren Reform, die unter anderem das baurechtliche Verfahren weiter beschleunigen und vereinfachen soll“, sagt eine Sprecherin.
Im Rems-Murr-Kreis gebe es beispielsweise ein vom Normenkontrollrat der Landesregierung angestoßenes Pilotprojekt zu Baugenehmigungsverfahren. Das wichtigste Ziel? Man wolle „einen Kulturwandel in der Verfahrenssteuerung vor Ort“.
Was ist der Strategiedialog
Dialog
Im Sommer 2022 hat die baden-württembergische Landesregierung den „Strategiedialog innovatives und bezahlbares Bauen“ gestartet. Beteiligt sind neben dem Bau- und Wirtschaftsministerium auch Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eingebunden sind, ist für Ministerpräsident Winfried Kretschmann Chefsache und Vorzeigeprojekt.
Themen
Das Thema „Transformation und Digitalisierung der Bauwirtschaft“ ist dabei eine von drei Säulen. Die anderen Schwerpunkte sind „Bezahlbares Bauen“ und „Innovatives und ökologisches Bauen und Sanieren“.