Digitaler Unterricht Hälfte der Schulen hat kein Internet für Schüler
Die Schulen im Südwesten und in Deutschland sind durch Corona viel digitaler geworden. Drei neue Studien zeigen, was Schüler loben, Lehrer kritisieren und Eltern wichtig ist.
Die Schulen im Südwesten und in Deutschland sind durch Corona viel digitaler geworden. Drei neue Studien zeigen, was Schüler loben, Lehrer kritisieren und Eltern wichtig ist.
Stuttgart - Drei neue Studien beleuchten die Entwicklung bei der Digitalisierung der Schulen in der Pandemie. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat bundesweit Lehrkräfte befragen lassen. Die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg hat sowohl Schüler als auch Eltern in Baden-Württemberg bei zwei Studien in den Blick genommen. Repräsentativ sind alle drei Untersuchungen nicht, interessant sind die Ergebnisse trotzdem.
Die Schulen in Deutschland haben während der Pandemie „einen deutlichen Entwicklungssprung bei der Nutzung digitaler Medien und Technik“ gemacht. Das konstatieren Forscher der Universität Göttingen, die im Auftrag der GEW Lehrer an Gymnasien und Gesamtschulen in ganz Deutschland befragt haben: Laut ihrer Studie nutzen heute zwei Drittel der Lehrkräfte digitale Medien täglich im Unterricht. Unmittelbar vor der Coronapandemie waren es 39 Prozent; 2018 und 2013 sind es sogar nur 23 beziehungsweise neun Prozent gewesen. Bei der Nutzung von Lernmanagement-Systemen ist ein Sprung von 36 Prozent (2020 vor Corona) auf aktuell 58 Prozent verzeichnet worden. Heute sagen 61 Prozent der Befragten, ihre Schule habe eine digitale Strategie, vor Corona waren es 27 Prozent. Laut der Befragung sind aktuell 65 Prozent der Schüler mit schuleigenen digitalen Endgeräten ausgestattet; 2020 waren es nur 36 Prozent. Zusammenfassend kommen die Göttinger Forscher zu dem Schluss, dass zur Sicherung der Unterrichtsversorgung im Pandemiejahr viel passiert ist.
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Trotzdem gibt es weiterhin Defizite und auch gewaltige Unterschiede: Laut der Studie haben 30 Prozent der Lehrkräfte und die Hälfte der Schulen kein WLAN und keinen Internetzugang für Schüler. An 24 Prozent der Schulen ist nicht jeder Lehrer mit einem digitalen Endgerät ausgestattet; 95 Prozent der Befragten nutzt daher auch private Geräte für dienstliche Zwecke.
Außerdem klaffen die Verhältnisse zwischen den Schulen weit auseinander, die Studie konstatiert eine digitale Spaltung der Bildungslandschaft: Ein Drittel der Schulen wird als digitale Nachzügler eingestuft. 29 Prozent liegen im Mittelfeld. Nur zwölf Prozent der Schulen sind digitale Vorreiter, 26 Prozent immerhin digital gut orientiert.
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Beim internationalen Vergleich nutzten in Europa schon 2018 fast die Hälfte (48 Prozent) der Lehrkräfte täglich digitale Medien im Unterricht – in Deutschland waren es 24 Prozent. Heute sind es 68 Prozent. Allerdings: wie stark die europäischen Lehrer in der Pandemie digital aufgeholt haben, ist aktuell nicht bekannt. Ein Vergleich ist also nicht möglich.
Die GEW lenkt in ihrer Bewertung der Studienergebnisse den Blick weg von der digitalen Infrastruktur zur Fortbildung und Entlastung der Lehrer. „Nach dem Digitalisierungsschub durch die Coronakrise brauchen die Schulen dringend mehr zeitliche und personelle Ressourcen, um gute Rahmenkonzepte für eine digitale Lehr- und Lernstrategie zu entwickeln“, sagte Anja Bensinger-Stolze, die im GEW-Bundesvorstand für Schulen zuständig ist.
Die PH Ludwigsburg hat 2020 und 2021 Eltern zu ihren Erfahrungen in der ersten und zweiten Fernunterrichtsphase befragt. Dabei hat Anselm Böhmer, Professor für allgemeine Pädagogik herausgefunden, dass die Unzufriedenheit im zweiten Lockdown gewachsen ist. Die Urteile der Eltern über die Situation reichen von schwierig, über durchwachsen bis gut, wobei Böhmer ein großes Mittelfeld sieht. Fast 41 Prozent der Eltern ging es im ersten Lockdown eher schlecht oder sehr schlecht mit der Situation; dieser Anteil stieg im zweiten Lockdown auf 48 Prozent. Umgekehrt stufte die Mehrheit der Eltern in beiden Fernunterrichtsphasen die Situation als okay, eher gut oder sehr gut ein. Böhmer schließt aus seiner Untersuchung, dass den Eltern Umfang und Qualität des Unterrichtsmaterials im Fernunterricht sehr wichtig ist. „Das sollte man als Ansatzpunkt nutzen, um die Zufriedenheit zu verbessern. Da kann man mit wenig Aufwand viel Frust vermeiden.“
Der Ludwigsburger Pädagogikprofessor Albrecht Wacker fragte Schüler im Land, was sich zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown aus ihrer Sicht getan hat. 89 Prozent der Befragten sahen Verbesserungen beim Fernunterricht im zweiten Lockdown. Ein Drittel der Schüler führte die Verbesserungen hauptsächlich auf vermehrten Online-Unterricht und regelmäßige Videokonferenzen zurück, nachdem im ersten Lockdown vor allem per E-Mail kommuniziert wurde; 31 Prozent lobten, dass im zweiten Lockdown Planung und Organisation besser und die Struktur beim Fernlernen klarer gewesen seien. „Die didaktischen und organisatorischen Konzepte der Schulen und Lehrpersonen für das zweite schulisch angeleitete Lernen zu Hause scheinen nun deutlich strukturierter“, schreibt Wacker in seiner Zusammenfassung.
Brisant ist, dass die verschiedenen Plattformen in Wackers Befragung höchst unterschiedliche Nutzungszahlen aufweisen. Klarer Spitzenreiter ist mit 172 Nennungen die Plattform Microsoft Teams, deren Nutzung an den 4500 Schulen im Südwesten wegen datenschutzrechtlicher Bedenken nur noch für eine Übergangszeit erlaubt ist.
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Weit abgeschlagen dahinter findet sich auf Platz zwei die Lernplattform Moodle (87 Erwähnungen), alle anderen Systeme rangieren unter ferner liefen. Laut der Umfrage nutzt mehr als die Hälfte der Schüler Teams im Unterricht. „Möglicherweise priorisierten Schulen im Spannungsfeld zwischen pädagogischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Bedenken funktionierende Lösungen“, schreibt Wacker.
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