Das einst für die Internet-Währung Bitcoin geschaffene Instrument sollte eigentlich Banken überflüssig machen. Mittlerweile hat die Finanzwelt es für sich entdeckt – und auch andere Branchen experimentieren mit Blockchains. Ganz vorne mit dabei: die LBBW und Daimler.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - So haben sich die Pioniere der Blockchain das nicht vorgestellt: Die Technik sollte Banken überflüssig machen – nun macht sich die Finanzbranche die Blockchain selbst zunutze. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat dieses Instrument kürzlich erstmals für eine echte Transaktion mit Daimler eingesetzt: Der Autobauer begab ein Schuldscheindarlehen über 100 Millionen Euro, das komplett auf einer Blockchain abgebildet wurde.

 

Das mag nach einer technischen Spielerei klingen. Schließlich haben Schuldscheindarlehen bislang auch ohne Blockchain funktioniert. Doch dieses einst für die Internet-Währung Bitcoin entwickelte Instrument hat es in sich: Neben dem Austausch von Vertragsbedingungen und der Übermittlung von Zahlungsströmen eröffnet es noch ganz andere Möglichkeiten. Bei einem geleasten Lastwagen etwa könnte eine Blockchain dazu eingesetzt werden, Zahlungsausfälle automatisch zu bestrafen, erläutert Professor Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance: „Die Blockchain könnte dann das Tempo des Lkw drosseln oder verhindern, dass er nach einer Pause wieder anspringt – unabhängig davon, wo sich das Fahrzeug befindet.“

Auch für die Energiebranche ist Blockchain ein Thema

Prinzipiell wäre ein solcher Eingriff aus der Ferne bei vernetzten Autos zwar auch ohne Blockchain machbar. Das Besondere an diesem Instrument ist aber, dass „Zahlungsstrom und Leistungserbringung miteinander verschmolzen werden können“, wie Sandner erklärt. In sonnenreichen Regionen wäre deshalb künftig auch denkbar, dass Haushalte mit Solardach überschüssigen Strom an Nachbarn abgeben und dafür direkt vergütet werden, heißt es in einer Analyse der US-Bank Goldman Sachs.

Das Schuldscheindarlehen der LBBW ist ein im vergleich einfacher Anwendungsfall: Hier wurden letztlich Infos über die Darlehensbedingungen zwischen den Vertragsparteien ausgetauscht – neben Daimler und der Landesbank waren dies weitere Geldgeber, nämlich die Kreissparkassen Esslingen Nürtingen, Ludwigsburg und Ostalb.

„Traditionell gehen da Verträge zwischen den Partnern hin und her, und es müssen Ausweiskopien verschickt werden“, erläutert ein LBBW-Sprecher. Die Blockchain macht dies durch die Übermittlung von Informationen in eindeutigen, nicht manipulierbaren Codes überflüssig – eigentlich. In der Praxis wurden die Verträge parallel über die Blockchain und auf traditionellem Weg geschlossen, weil letzterer auch von den Aufsichtsbehörden anerkannt ist.

„Einfacher und effizienter“

Das Pilotprojekt habe gezeigt, dass sich der für die Begebung eines Schuldscheindarlehens notwendige Prozess von derzeit durchschnittlich zehn Wochen mittels Blockchain um mindestens zwei Wochen verkürzen lasse, heißt es bei der LBBW. „Die technische Entwicklung eröffnet völlig neue Wege, Finanzprozesse einfacher und effizienter zu gestalten“, teilte Bankchef Rainer Neske mit. „Wir wollen diese Potenziale nutzen, um Bankdienstleistungen für unsere Kunden weiter zu verbessern.“

„Die LBBW und Daimler sind mit ihrer Blockchain-Transaktion innerhalb Deutschlands weit vorn, und 100 Millionen Euro sind schon ein Wort“, sagt Professor Sandner, der das Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance leitet. Die meisten Unternehmen, die sich mit Blockchain beschäftigen, steckten noch in der Experimentierphase. So haben 15 Versicherer weltweit eine Blockchain-Initiative namens b3i gegründet, über die ein Datenaustausch zwischen Erst- und Rückversicherern ermöglicht werden soll. Das Pendant für Kreditinstitute heißt R3, hier sind auch Deutsche Bank und die Commerzbank dabei.

Einige Lösungen sind bereits auf dem Markt

Zu den bekanntesten laufenden Anwendungen gehört Ripple, ein Zahlungsdienstleister in den USA. Das Unternehmen bietet Banken die Möglichkeit, via Blockchain Zahlungen mit anderen Finanzinstituten abzuwickeln – was insbesondere bei Auslandsüberweisungen Zeit und Geld spart. Der Hintergrund: Normalerweise müssen Geldtransfers zwischen Banken über deren Konten bei der Zentralbank abgewickelt werden, um sicherzustellen, dass das Guthaben für die Transaktion auch wirklich vorhanden ist. Noch komplizierter sind Zahlungen in Fremdwährungen an ausländische Banken: Für eine Überweisung nach Europa müssen kleinere Institute etwa in den USA neben den Zentralbanken oft noch größere Geschäftsbanken einschalten. An jeder Station werden dabei Gebühren fällig.

Sind die Banken dagegen Ripple-Kunden, so werden sie an eine gemeinsame Blockchain angeschlossen. Auf diese Weise können alle Beteiligten die Transaktionen einsehen und verifizieren. Statt mehrerer Tage dauert der Prozess nur Sekunden, die Gebühren für eine Überweisung von 500 Dollar sind laut Ripple rund 60 Prozent niedriger als auf dem herkömmlichen Weg.

Bei Bitcoin zeigen sich erste Probleme eines komplett offenen Systems

Ripple macht sich damit die Prinzipien des Bitcoin-Netzwerks zunutze: Dort fließt ein Zahlungsbefehl – also: überweise X Bitcoin an y – an alle Rechner, auf denen die Bitcoin-Software installiert ist. Da alle jemals getätigten Bitcoin-Transaktionen ebenfalls auf all diesen Rechnern gespeichert sind, kann überprüft werden, ob der Sender über ein ausreichendes Guthaben verfügt. Diese Prüfung erfordert allerdings eine hohe Rechenleistung und wird nur von Freiwilligen mit besonders leistungsstarken Computern durchgeführt. Der Überprüfungsprozess ist bei Bitcoins sehr aufwendig, so dass einzelne Transaktionen eine Stunde oder länger dauern können. Das ist eben der Nachteil eines Systems, das jedermann offensteht. Kleinere Netzwerke wie das von Ripple laufen schneller – und sprechen eher für eine Koexistenz mit den Banken, denn für eine Abschaffung der Geldhäuser.