Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will starre Vorschriften der Arbeitswelt an die Digitalisierung der Wirtschaft anpassen.

Stuttgart - Das Internet verändert die Wirtschaft: Ob der Taxikonkurrent Uber, die Zimmervermittlung im Netz oder neue Formen des Zahlungsverkehrs – Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will die Folgen der Digitalisierung zum Schwerpunkt der nächsten Jahre machen. Die Ministerin will die bisher technikgetriebene Diskussion erweitern und die Folgen für die Arbeitswelt untersuchen. Zum Auftakt der vom Ministerium geplanten Veranstaltungsreihe „Arbeiten 4.0“ in Berlin machte Nahles deutlich, dass die Politik die neue Entwicklung nicht als Bedrohung sieht. Die Ministerin befürchtet nicht, dass neue Technik Arbeit verdrängt. Dies zeige sich schon daran, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland mit 43 Millionen Menschen einen Höchststand erreicht habe. „Mit der Digitalisierung haben wir die Chance auf neue und bessere Arbeit“, sagte Nahles. Die Sozialdemokratin will mit Gewerkschaften und Arbeitgebern die Auswirkungen beleuchten. Ende 2016 sollen Empfehlungen in einem Weißbuch vorgelegt werden.

 

Zum Auftakt machte Nahles klar, dass es auch darum geht, Gesetze und Verordnungen zu verändern. Nahles erwartet, dass sich klassische Berufe wandeln und vielleicht auch verschwinden. Deshalb müsse sich die Politik stärker um den Übergang kümmern. Dafür nannte die Ministerin konkrete Felder: Sie kann sich vorstellen, die Arbeitsagentur in eine „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ umzuwandeln. Die Jobvermittler könnten künftig nicht nur ins Spiel kommen, wenn Beschäftigte neue Jobs suchen. Die Berater sollen Arbeitnehmern auch Weiterbildungsangebote machen und in stärkerem Maße Umschulungen organisieren. Noch handelt es sich um eine Absichtserklärung der Ministerin, über die noch nicht entschieden ist. Aus Nahles’ Sicht sind die Änderungen aber notwendig. Sie begründete dies damit, dass vor allem Menschen mit geringer Qualifikation in der digitalen Arbeitswelt schnell auf der Strecke bleiben. Auch für sie müsse die Weiterbildung verstärkt werden.

Drastische Folgen der Digitalisierung

Nahles will zudem die gesetzlichen Bestimmungen zu Arbeitszeiten überdenken. Es müsse zwar auch künftig einen wirksamen Rahmen geben, der die Beschäftigten schützt, das bedeute aber nicht, dass alles so bleiben müsse wie heute. Als Beispiel nannte sie einen Arbeitnehmer, der früher nach Hause geht, um bei den Kindern zu sein. Wenn dieser Beschäftigte später am Abend noch einige dienstliche E-Mails erledige, dürfe er nach dem Arbeitsschutzgesetz nicht schon frühmorgens im Büroerscheinen. Der Grund: es gelten gesetzliche Mindestzeiten für Ruhepausen. Die Ministerin will Hemmnisse für flexible Arbeitszeiten durchforsten. Sie will dafür eng mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten. Unter Flexibilität versteht Nahles auch, dass Beschäftigte, die in Teilzeit wechseln, später einen Anspruch auf einen Vollzeitarbeitsplatz erhalten sollen. Bei den Arbeitgebern stößt dieses Vorhaben allerdings auf Ablehnung.

Die Ministerin geht noch einen Schritt weiter. Im Internetzeitalter habe eine zunehmende Zahl von Beschäftigten keinen festen Arbeitgeber mehr. „Viele Begriffe, die die soziale Marktwirtschaft ausmachen, sind mit der alten Arbeitswelt verbunden“, meinte Nahles. So sei etwa zu fragen, ob die Begriffe Betrieb und Arbeitsstätte neu gefasst werden müssten. Handlungsbedarf sieht Nahles auch bei den sogenannten Solo-Selbstständigen: dabei handelt es sich um Kleinstunternehmer, die sich beispielsweise über Internetplattformen um Aufträge bewerben. Es gebe eben auch die „digitalen Tagelöhner“, so die Ministerin. Sie will prüfen, ob für diesen Teil der Selbstständigen eine Rentenversicherungspflicht eingeführt werden kann. Es sei aber nichts entschieden, betonte sie.

Drastische Folgen der Digitalisierung erwartet der VW-Personalvorstand Horst Neumann, der auf der Konferenz seine Sicht der Dinge darlegte. Der Automanager sieht einen rasanten Wandel voraus, der die gesamte Gesellschaft verändert. Er rechnet damit, dass die Bandarbeit in den Autowerken in den nächsten 30 Jahren komplett von Robotern ersetzt wird. „Die taktgebundene Arbeit wird in den nächsten Jahrzehnten verschwinden“, sagte Neumann. Grund dafür sei, dass der Roboter mit Kosten von drei bis sechs Euro pro Stunde wesentlich günstiger sei. Die Kosten für einen Facharbeiter seien zehnmal so hoch. „Es ist unaufhaltsam, dass Maschinen die Menschen verdrängen“, sagte Neumann. Deutschland könne den Verlust an Arbeitsplätzen wegen des demografischen Wandels verkraften, so Neumann. Denn in den nächsten 15 Jahren erreichten geburtenstarke Jahrgänge das Rentenalter.