Virtuelle Ausflüge in eine Raumstation, Feuerwehrübungen und Schulstunden in der virtuellen Realität: Das Landratsamt in Waiblingen geht bei der Digitalisierung in die Offensive. Was es sich dabei vorstellt, lesen Sie hier.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rems-Murr-Kreis - Die Schwerelosigkeit macht das Fortkommen nicht gerade einfach, doch der atemraubende Blick aus der Ausgangsluke entschädigt für das mühsame Entlanghangeln in der Raumstation ISS: Millionen von glitzernden Lichterpunkten und mittendrin, basketballgroß und deutlich erkennbar, der blaue Planet – die Erde.

 

Möglich macht diese buchstäblich schwindelerregende Sicht eine in einer Spezialbrille erzeugte virtuelle Realität. Die Brille ist im Kreismedienzentrum getestet, für gut befunden worden und nun ein Bestandteil des Equipments, mit dem die Einrichtung des Landratsamts Digitalisierung erlebbar machen möchte.

Im Kreismedienzentrum Rems-Murr hat sich schon vieles geändert

Bis vor wenigen Jahren ist das Kreismedienzentrum noch das gewesen, als was es einst gegründet worden war: eine Bild- und Tonverleihstelle. In riesigen Regalen stapelten sich Videokassetten, Tonträger, DVDs – vornehmlich Schulen, aber auch Privatpersonen konnten aus einem Fundus von mehr als 120 000 Medien schöpfen. Das ist auch heute noch so, wenngleich die Regale weitgehend verschwunden sind.

Möglich wurde dies durch die Digitalisierung. Und genau in der Begleitung dieser technischen Revolution sieht der Landrat Richard Sigel seine Serviceeinrichtung heute. Ein entsprechender Umbau ist bereits vor zwei Jahren von der Verwaltung vorgeschlagen und von den Kreisgremien auf den Weg gebracht worden. Das KMZ wurde personell verstärkt und technisch aufgerüstet und hat seither einige Projekte auf den Weg gebracht – landesweit beispielgebend etwa die Administration von Tablet-Computern an Schulen.

Das Kreishaus will „Digitalisierung erlebbar machen“

Nun haben sich der Landrat und der Leiter des Medienzentrums, Ralf Nentwich, ein weiteres Vorhaben gesteckt, das Furore machen soll. „Wir wollen die Digitalisierung erlebbar machen, dabei Möglichkeiten aufzeigen und Ängste nehmen“, sagt Richard Sigel. Geplant ist neben einem Experimentier-Lernraum im Kreismedienzentrum und der Einrichtung einer Modell-Realschule für 3D-Anwendungen in Kernen auch ein sogenanntes mobiles Virtual-Reality-Labor.

Die Idee für den „Digitalisierungstruck“ ist ursprünglich mit einem Feuerwehrauto verknüpft gewesen. Ein ausrangierter Gerätewagen des im Landratsamt angesiedelten Katastrophenschutzes stand zum Verkauf und Sigel und Nentwich (Sigel: „Wir sitzen oft wie in einem Startup zusammen und spinnen gemeinsam an neuen Ideen“) überlegten, den Lastwagen zu einem „mobilen Makerspace“ umzufunktionieren. Doch mit dem Blick auf die Ökobilanz des alten Dieselfahrzeugs nahm man doch lieber Abstand von der Recycling-Idee. Nun ist an einen modernen Kleintransporter mit Anhänger gedacht, mit dem man in Kisten verpackte Module wie etwa die virtuellen Brillen an die Schulen bringen möchte.

Auch Schulen sollen von den Neuerungen profitieren

Dabei hat sich das Landratsamt bereits die Unterstützung heimischer Unternehmen gesichert, die weltweit führend in ihrem Bereich sind. So soll beispielsweise die Schorndorfer Firma Alphacam, ein Spezialist für 3D-Druck, an Schulen mit der entsprechenden Hardware und ganz konkreten, fächerübergreifenden Experimenten das kreative Konstruktionsdenken fördern. So ist beispielsweise an die Herstellung von Funktionsmodellen in der Biologie-, an Reliefkarten in der Geografie- oder historischen Nachbildungen in der Geschichtsstunde gedacht.

Aber nicht nur im Bildungsbereich soll der Truck zum Einsatz kommen. Angedacht ist unter anderem eine virtuelle Katastrophenübung für die Feuerwehren, bei der die Firma Stihl unterstützen würde. „Man könnte zeigen und üben, was in der realen Welt kaum möglich ist: Etwa, wie man einen ICE mit der Rettungssäge zerteilt, um nach einem Zugunglück Menschen zu bergen“, sagt Sigel.

Geplant sind zudem unterschiedliche Themenwochen im Landratsamt, bei denen das Atrium zum Holodeck werden soll. Unterstützung erhofft man sich dabei auch von dem in Fellbach angesiedelten Virtual Dimension Center. „Wir wollen Impulse senden, aufzeigen, was der Markt und die heimischen Unternehmen in verschiedenen Bereichen der Digitalisierung bieten und nicht zuletzt auch Berührungsängste abbauen“, sagt der Landrat.

Einblicke in die Welt von Morgen – durch virtuelle Realität

Die Finanzierung des Projekts ist durch Förder- und Stiftungsmittel in Höhe von 600 000 Euro bereits gesichert. Dennoch will sich der Landrat noch das grundsätzlich politische Okay und eine finanzielle Beteiligung beim Kreistag einholen. Schließlich solle die Angelegenheit kein einmaliges Renommierprojekt sein, sondern langfristig und ausbaubar angelegt sein. Das gilt auch für die Projektpartner: aktuell sei man mit der Forscherfabrik Schorndorf im Gespräch, die Idee ist eine gemeinsam gestaltete Ferienwoche. Auch das Technikmuseum Backnang könne man sich als eine Plattform vorstellen.

Die Rolle des Kreismedienzentrums beschreibt der Landrat dabei so: Ausprobieren, evaluieren, einbringen, die Akteure vernetzen sowie technische und pädagogische Hilfestellung geben. „Wir haben uns als Anspruch gesetzt, in Digitalisierungsfragen der erste Ansprechpartner im Kreis zu sein.“ Das Ziel des Landrats ist, möglichst vielen Menschen Einblicke in die Welt von Morgen zu ermöglichen. Zurzeit genießt seine Sekretärin die atemberaubende Aussicht auf der ISS.