Der chinesische Internethändler beteiligt sich an dem Hersteller von Funketiketten, der in der Region Stuttgart verwurzelt ist und gerade sein Geschäft umkrempelt. Mehrheitseigner JP Morgan soll aber in den nächsten Jahren an Bord bleiben.

Stuttgart - Die chinesische Online-Handelsplattform Alibaba steigt beim Digitalisierungsspezialisten Smartrac ein. Nach Angaben eines Smartrac-Sprechers übernimmt Alibaba einen Minderheitsanteil. Einzelheiten zu der Transaktion wollen die Unternehmen nicht bekannt geben. Smartrac ist ein Hersteller von Funketiketten, mit deren Hilfe sich Objekte eindeutig identifizieren lassen. Juristischer Sitz von Smartrac ist Amsterdam, aber mit einem wesentlichen Teil seiner Verwaltung ist das Unternehmen in Leinfelden-Echterdingen (Landkreis Esslingen) angesiedelt. Alibaba wird oft als chinesische Variante des US-Konzerns Amazon bezeichnet. Michael Evans, der als rechte Hand von Alibaba-Gründer Jack Ma gilt und für das internationale Geschäft zuständig ist, soll in den Smartrac-Aufsichtsrat einziehen.

 

Markenartikler leiden besonders unter Fälschungen

Das Interesse von Alibaba gilt dem Markenschutz, den Smartrac mit seinen Funketiketten gewährleisten kann und zu einem der großen Geschäftsfelder der Zukunft erklärt hat. Die Etiketten, die ohne Strom über Funk angesteuert werden, geben ebenso wie die vom täglichen Einkauf bekannten Barcodes Auskunft über die Identität ihres Trägers. Um Funketiketten auslesen zu können, brauchen die Lesegeräte allerdings keinen Sichtkontakt wie beim Barcode, und sie funktionieren in einem Umkreis von sechs bis zehn Metern. Die wichtigste Eigenschaft der Transponder beschreibt Smartrac-Chef Christian Uhl so: „Wir können einem Produkt immer eine ganz eindeutige Identität geben, und damit können Produkthersteller und ihre Kunden die Frage nach der Echtheit beantworten.“ Das ist zum Beispiel ein Thema bei Markenartikeln von Handtaschen bis zu Fußbällen oder Turnschuhen, die häufig gefälscht werden. Auch Onlinehändler sind daran interessiert, dass möglichst keine Fälschungen auf ihrer Plattform sind.

Obwohl das sogenannte Internet der Dinge aus Uhls Sicht „ein Megathema“ ist, sieht er ganz nüchtern, dass darüber gegenwärtig vor allem gesprochen wird. Bei der Umsetzung konkreter Schritte stehen viele Kunden aus seiner Sicht noch am Anfang. Trotzdem sieht sich Smartrac schon jetzt in der Lage, all das anzubieten, was ein Unternehmen für die Kommunikation via Produkt mit den Kunden braucht. Herzstück ist die Internet-Plattform Smart Cosmos.

Smartrac kooperiert mit dem US-Unternehmen Spyder

Ein Beispiel hierfür ist der Fußball, den Smartrac für den Sportartikelhersteller Adidas mit einem Transponder ausstattet, der zum Beispiel Auskunft darüber gibt, wo der Ball produziert wurde. Via Smartphone-Klick wird der Besitzer registriert, kann personalisierte Inhalte abrufen und mit anderen Fans kommunizieren. Gleiches gilt für ein Trikot, das auch als Bezahlsystem genutzt werden kann – beim Eintritt genauso wie an der Theke bei der Getränkebestellung oder beim Begleichen der Pay-TV-Rechnung. Smartrac kooperiert auch mit dem US-Unternehmen Spyder, einem Hersteller von Skibekleidung. Über das mit einem Smartrac-Transponder bestückte Spyder-Logo auf dem Skianzug erhält der Nutzer Zugang zu Wetterdaten, Wanderwegen und Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten sowie zu Social-Media-Seiten. Ob und wie Smart Cosmos mit Alibaba verknüpft werden soll, lassen die Partner offen. Smartrac verspricht zumindest langfristig Zugang zur Alibaba-Kundschaft.

Die Frage nach der Echtheit des Produkts stellt sich nicht nur bei Konsumgütern, sondern auch in vielen Industrieanwendungen, wie zum Beispiel bei kritischen Ersatzteilen im Automobilbau, wo kein Fahrzeughersteller einer Fälschung aufsitzen mag. Dabei hat das Unternehmen bereits Pilotprojekte und führt nach Uhls Worten intensive Gespräche mit weiteren Interessenten. Die genaue Identifikation von Teilen kann auch eine Rolle spielen, wenn zum Beispiel bestimmte Chargen aus der Produktion eines Zulieferers fehlerbehaftet sind; auf diese Weise lässt sich das Problem schneller einkreisen.

Das Unternehmen hat schon ein Bein im Autogeschäft

Es wäre nicht der erste Schritt von Smartrac in die Welt des Automobils. So gehört auch ein Standort im Bergischen Land zur Gruppe, der Funketiketten für Wegfahrsperren, Fernbedienungen und schlüssellose Startsysteme herstellt. Sie sorgen dafür, dass ein Motor ohne Berechtigung nicht gestartet werden kann. Diese sogenannten Car Immobilizers sind zu Smartrac gekommen, als der im Jahr 2000 gegründete Newcomer noch an der Frankfurter Börse notiert war.

2010 kaufte die Beteiligungsgesellschaft One Equity Partners das Unternehmen und nahm es 2013 von der Börse. One Equity gehörte damals der Großbank JP Morgan. Seit der Trennung hält JP Morgan selbst 90 Prozent der Anteile an Smartrac. Und künftig, nach dem Einstieg von Alibaba? „Wir sind sicher, dass JP Morgan auch in den kommenden Jahren weiterhin ‚an Bord‘ bleiben wird“, sagt Uhl.

Zwei Drittel des Umsatzes sind verloren gegangen

Smartrac ist gegenwärtig in einer Umbruchphase. Das Unternehmen hat sich im vergangenen Jahr von seiner größten Sparte getrennt und dabei zwei Drittel des Umsatzes abgegeben. Den ungewöhnlichen Schritt erklärt Uhl damit, dass diese Sparte – die Ausstattung elektronischer Ausweispapiere, kontaktloser Bezahlkarten und Zugangskarten – zwar auf einen großen Markt zielt; die Wachstumsperspektiven aber überschaubar seien. Ist die Grundausstattung erst einmal geliefert, dann gilt es nur noch den Zusatz- und Ersatzbedarf zu decken. Zudem geraten Bezahl- und Zugangskarten unter Druck; sie drohen vom Smartphone verdrängt zu werden.

Die Zukunft sieht Uhl in der gegenwärtigen Produktpalette mit Funketiketten für hochwertige Gebrauchsgüter als Basis sowie der Expansion in Richtung Software. Uhl spricht vom Schritt auf die nächste Ebene und erklärt es so: „Es geht darum, die Verbindung von Hardware und Software zu schaffen. Denn unser Ziel ist es, vom Hardwarehersteller zum Anbieter von Lösungen zu werden.“ Das Geld für möglicherweise notwendige Zukäufe ist vorhanden; es kommt aus dem Verkauf der einst dominierenden Sparte Security ID & Transactions, die das französische Unternehmen Linxens gekauft hat. „Dafür steht uns ein substanzieller, ein zweistelliger Millionenbetrag zur Verfügung“, sagt Uhl.