Oskar Schlemmer ist ein Protagonist der Klassischen Moderne. Die Stuttgarter Staatsgalerie widmet dem Künstler die weltweit erste monografische Schau seit Jahrzehnten. Ein Gespräch mit der Museumsdirektorin Christiane Lange.

Stuttgart - - Zu den wichtigsten Ausstellungen dieses Jahres gehört die Schau „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ in der Stuttgarter Staatsgalerie. Der Countdown läuft. Über 200 Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Skulpturen und Kostüme des Künstlers aus der Sammlung der Staatsgalerie sowie internationaler Leihgeber werden vom 21.  November an präsentiert. Christiane Lange, die Direktorin der Staatsgalerie, erklärt, was die Besucher erwartet.
Frau Lange, was ist das Besondere an der Schlemmer-Ausstellung, die demnächst in der Staatsgalerie zu sehen sein wird?
Das Besondere ist, dass wir einen Triple-A-Künstler zeigen können, der sich nicht bereits in hundert Ausstellungen abgenutzt hat. Ein Großmeister ist neu zu entdecken: ein Künstler, der gleichrangig mit Paul Klee und Wassily Kandinsky am Bauhaus unterrichtet hat.
Schlemmer war in einer monografischen Werkschau in Deutschland seit nahezu vierzig Jahren nicht mehr zu sehen. Es wird also viele jüngere Besucher geben, denen der Künstler nicht mehr viel oder gar nichts sagt. Wie bringen Sie dieser Generation Schlemmer nahe?
Ein Wesensmerkmal ist das Visionäre seiner Kunst, seine Art, die Kunst ganzheitlich zu sehen. Ähnlich wie Picasso arbeitet er in allen Bereichen und in allen Medien. Er malt, er zeichnet, er arbeitet als Bildhauer. Im Gegensatz zu Picasso, der „nur“ Bühnenbilder entworfen hat, ist Schlemmer aber jemand, der das Theater revolutioniert, der selber tanzt, selber tätig wird und dadurch dem Tanz wichtige Impulse gegeben hat – erstaunlich moderne Impulse übrigens, auch heute noch.
Was für eine Position hatte Schlemmer am Bauhaus neben Größen wie Kandinsky oder Klee?
Das waren keine Konkurrenten, sondern Freunde. Alle drei waren gleichermaßen gute Künstler und wurden vom zeitgenössischen Publikum wie auch von Sammlern geschätzt. Über die Kunstgeschichtsschreibung hat sich dieses Gleichgewicht mit der Zeit dann verschoben. Es kommt hinzu, dass Schlemmer in den letzten Jahren fast nirgends mehr reproduziert wurde. Sogar in Bestandskatalogen fand sich nur der Eintrag zu seinem Werk, aber keine Abbildung mehr. Mit der Zeit ist er so nahezu unsichtbar geworden.
Die Staatsgalerie holt ihn mit dieser Ausstellung also erstmals nach vielen Jahren in die Sichtbarkeit zurück. Das garantiert Ihnen doch bestimmt die Aufmerksamkeit der Kunstwelt?
Die Unsichtbarkeit eines bildenden Künstlers ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es das außergewöhnliche Momentum, auf das wir uns mit der ganzen Kunstwelt freuen. Die Kollegen aus aller Welt fiebern schon auf die Eröffnung hin. Andererseits bleibt es spannend, ob wir auch beim breiten Publikum eine solche Begeisterung wecken können, weil es eben eine ganze Generation gibt, der Schlemmer unbekannt ist. Dieses Publikum zu erreichen, das ist die große Herausforderung unserer Retrospektive. Wir gehen – neben den mittlerweile üblichen Social-Media-Plattformen – darum auch ungewöhnliche Wege, indem wir beispielsweise in den Mensen der Unis für die Schau werben.