Ich habe gehört, dass Sie manchmal sehr wütend werden können, wenn bei Proben etwas nicht so klappt, wie Sie sich das vorstellen. Stimmt das?
Keiner ist perfekt, ich auch nicht. Wir sind alle Menschen, die ihr Bestes tun. Ich werde nur ärgerlich, wenn jemand nicht arbeiten möchte. Wenn er nicht in Arbeitsstimmung ist, dann soll er Urlaub nehmen und nicht die anderen stören. Wir sind doch nicht in einem Supermarkt oder in einem Büro, sondern wir machen Kunst. Wenn ich nicht in der Stimmung bin, mich darauf einzulassen, dann dirigiere ich auch nicht.
Geht es nur um Kunst? Oder nicht auch um Ihre Persönlichkeit? Wie viel von Ihnen ist in Ihren Konzerten und CD-Aufnahmen?
Jede Interpretation ist eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen. Der Dirigent ist der Erbauer dieser Welt, aber diese Welt ist nicht er selbst, sondern es ist die Welt, in der er leben möchte: eine Welt der Schönheit. Wie viel von mir selbst in der Musik ist, hängt vom Stück ab. Tschaikowsky braucht Persönliches. Manchmal ist es aber auch wichtig, Distanz zu wahren und sich nicht in Details zu verlieren.
Wie entsteht Magie bei einem Konzert?
Aus der Tatsache, dass die Musiker wissen, was sie tun. Und dass sie das Geheimnis der Musik verinnerlicht haben.
Worin besteht das?
Aus all dem, was wir nicht wissen. Aus dem, was hinter der Musik ist. Die Spiritualität ist viel entscheidender als alles Äußerliche. Der Saal, das Instrument, die Technik sind nur Hilfsmittel. Wenn keine Spiritualität da ist, dann ist alles nichts. Und sie entsteht nur durch eine ernsthafte Auseinandersetzung der Interpreten mit den Werken und mit sich selbst.
Sie tragen am Pult keinen Frack, sondern ein langes schwarzes Hemd und enge Jeans, dazu tragen Sie Stiefel mit roten Schnürsenkeln. Sind das Ihre Markenzeichen?
Nein, gar nicht. Das ist für mich einfach normal. Ich will immer aufrichtig sein – mit der Kunst und als Künstler.
Sie werden in Stuttgart nächstes Jahr ein neues Orchester übernehmen. Was ist Ihr erstes Ziel mit dem SWR-Symphonieorchester?
Zunächst einmal: Es war ein großer Fehler, dass zwei exzellente Orchester zerstört wurden. Ich weiß das, denn ich habe beide dirigiert. Es ist jetzt schwierig, beide Traditionen und Profile zusammenzuführen. Einzigartig ist es sicherlich, dass die Musiker selbst den Wunsch haben, einen ganz neuen Klangkörper mit ganz eigener Perspektive zu formen. Ich weiß, wie man einen neuen Klang erarbeitet, das wissen die Musiker, und weil ich das gespürt habe, habe ich das Angebot angenommen.
Werden Sie besondere Schwerpunkte setzen?
Ganz egal, ob wir nun Alte Musik spielen oder zeitgenössische, es muss immer aufregend neu klingen. Natürlich werden wir Kompositionsaufträge vergeben, aber insgesamt möchte ich einen Bogen schlagen von der Musik des Mittelalters ins Heute, von groß besetzten Konzerten bis hin zu kammermusikalischem Musizieren. Und es gibt noch so viel Musik, die kaum bekannt ist.
In Stuttgart wird gerade über einen neuen Konzertsaal diskutiert, wie stehen Sie dazu?
Das ist für die Musikstadt Stuttgart eine existenzielle Frage. Nicht viele Städte in Europa haben ein so reiches und hochwertiges Musikleben wie Stuttgart. Man kann nicht verstehen, warum es keinen Raum gibt, der diesen Glanz nach außen trägt und Besucher von auswärts anlockt. Die Elbphilharmonie hat das Musikleben in Hamburg potenziert. Das könnte auch in Stuttgart passieren. Wenn nicht, verpasst die Stadt eine Riesenchance.