Wer sich für das Cannstatter Volksfest herausputzen möchte, wird vielleicht ein Dirndl oder eine Lederhose wählen. Kritiker bemängeln, dass diese vermeintlichen Trachten in Stuttgart keine Tradition haben. Doch ist das wirklich so?

Stuttgart - Volksfestzeit – das bedeutet Dirndlzeit! Vor allem junge Wasen-Fans putzen sich für das Fest in Stuttgart gerne heraus und tragen Dirndl in leuchtenden Farben und Lederhosen mit karierten Hemden. Die Tracht ist seit vielen Jahren wieder angesagt. Doch handelt es sich bei den meist günstig gekauften Kleidchen wirklich um Trachten? „Nein“, sagt Gunter Dlabal, Vorsitzender des Südwestdeutschen Gauverbands der Heimat- und Trachtenvereine. „Von der Qualität her können diese Kleider dem Trachtenanspruch nicht gerecht werden.“ Für Gunter Dlabal haben die günstigen Dirndl durchaus ihre Berechtigung, schließlich könne nicht jeder hunderte von Euro für ein hochwertiges Wasen-Outfit ausgeben. „Dabei handelt es sich aber um Event-Kleidung, als Tracht kann man es nicht bezeichnen.“

 

Bei den Trachten, die in seinem Verein bewahrt werden, handelt es sich um regionaltypische Kleidung der Bauern aus den Jahren 1800 bis 1900. „Manche Bauern waren in jener Zeit zu Geld gekommen und bei ihrer Tracht handelte es sich um qualitativ hochwertige Kleidung aus guten Baumwoll- und Leinenstoffen“, verrät der Experte. Je nach Reichtum verzierten die Bauern ihre Trachten noch mit Silberknöpfen, Stickereien und Pailletten. „Man zeigte, was man hat.“

Die bayrische Tracht gibt es nicht

Die Dirndl, die man heute hauptsächlich kennt, werden häufig als bayrische Tracht bezeichnet, obwohl es diese eigentlich gar nicht gibt. Tatsächlich gibt es unzählige Varianten davon. Bekannt ist die Miesbacher Tracht aus der Münchner Umgebung, die sich jedoch erst um 1900 herum mit dem Aufkommen der Trachtenvereine entwickelt und verbreitet hat. Auch die schwäbisch-württembergische Tracht wurde von bayrischen Arbeitern beeinflusst, die nach Württemberg ausgewandert waren. „Der erste Trachtenverein wurde 1893 von bayrischen Arbeitern gegründet, die sich im Göppinger Raum angesiedelt hatten und die hier ihre heimatlichen Bräuche weiterleben wollten“, erzählt Dlabal. Auch habe es damals eine bayrische Botschaft in Württemberg gegeben.

Trachten mit Tradition

Beim Cannstatter Volksfest wird der Südwestdeutsche Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine mit seinem Festzug wieder zeigen, dass es auch hierzulande eigene Trachten gibt. Und so werden sich zwischen die bunte Event-Kleidung auch Trachten mischen, die tatsächlich Tradition haben: „Typisch für unsere Tracht ist zum Beispiel beim Mann eine Weste mit Silberknöpfen und einem dunkelblauen Kittel mit Schwabenspiegel. Dabei handelt es sich um eine Jacke, die man offen ließ, damit die Silberknöpfe sichtbar waren“, sagt Dlabal. Die Frauen trugen einen langen Rock und ein Mieder. „Das Mieder hatte ganz praktische Gründe, da sich die Figuren der Frauen durch viele Schwangerschaften änderten“, erklärt der Trachten-Experte. Durch die Schnürung habe man das Mieder je nach Situation anpassen können.

An die Geschichte des Volksfestes und die damit zusammenhängenden Traditionen wird auch in diesem Jahr wieder mit dem Traditionsmorgen am Samstag, 23. September, und mit dem Großen Volksfestumzug am Sonntag, 24. September, erinnert. Dabei werden auch Trachten in den unterschiedlichen Varianten zu bewundern sein.