Wenn Aldi und Lidl Trends für sich nutzen, sind sie selten neu. Die schiere Marktmacht von Deutschlands größten Discountern verstärkt Trends aber so sehr, dass sie ins Bewusstsein und in die Einkaufskörbe praktisch aller Verbraucher gelangen – schließlich kaufen rund 80 Prozent der Bürger regelmäßig in Discountern ein. „Es gibt niemanden, der in Deutschland bei Lebensmitteln mehr Macht hat“, sagt Chehab Wahby, Konsumexperte und Partner beim Strategieberater EY-Parthenon. „Deshalb können die großen Discounter bei Trends so viel bewegen.“
Seit Jahresbeginn forcieren die Discounter vor allem Werbung und Verkauf bei allen aktuellen Lebensmitteltrends, also bei veganen, nährwertspezifisch gesunden, biologischen und nachhaltigen Produkten. So bietet Aldi Süd jetzt in seinen 2000 Filialen in den Frischetheken ausschließlich Wurstartikel der höchsten Haltungsform 4 an – „als erster Discounter in der Fläche“, wie es heißt. Bis 2030 sollen das gesamte Frischfleisch, Trinkmilchsortiment sowie gekühlte Fleisch- und Wurstwaren schrittweise auf die beiden höchsten Haltungsformen 3 und 4 umgestellt werden.
Die Bio-Offensive von Aldi & Co. verdarb den Fachmärkten das Geschäft
Seit diesem Jahr arbeitet Aldi mit Naturland, dem größten Bioverband, zusammen. Lidl wiederum kooperiert schon seit Jahren mit Bioland, bis 2025 sollen Bio- und Bioland-Artikel zehn Prozent des Gesamtsortiments der 3200 Filialen ausmachen.
Mit ihrer Bio-Offensive verdarben die Discounter schon im vergangenen Jahr den Biofachmärkten und -ketten das Geschäft. Während der Umsatz von Biolebensmitteln und -getränken 2022 im Vorjahresvergleich um vier Prozent schrumpfte, bauten Aldi, Lidl & Co. ihren Umsatz laut GfK mit den eigenen Biohandelsmarken um zwölf Prozent aus. „Um weiterhin Bioprodukte kaufen zu können, ohne die Bonsumme drastisch zu erhöhen, greifen die Verbraucher zu den günstigeren Bioprodukten der Handelsmarken oder kaufen Biolebensmittel im Discounter statt im Biosupermarkt“, betont Robert Kecskes, Experte für den Lebensmittelhandel bei GfK.
Werbung für ungesunde Kinderprodukte ist tabu – aber nicht zu Ostern
Erstaunlich aber sind die jüngsten Initiativen der beiden Marktführer. Seit März macht Lidl keine auf Kinder abzielende Werbung für ungesunde Lebensmittel wie Softdrinks, Schokolade oder überzuckerte Joghurts – Oster-Aktionsartikel sind allerdings ausgenommen. Damit setzt Lidl die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um und kommt im Wesentlichen dem geplanten Gesetz von Bundesernährungsminister Cem Özdemir zuvor, das an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Produkte massiv beschränken will. Bis Ende 2025 will Lidl zudem nur noch jene Lebensmittel, die die WHO-Kriterien für gesunde Nahrung erfüllen, in für Kinder attraktiver Verpackung verkaufen.
Konkurrent Aldi Süd reagierte prompt und will bis Ende 2025 die Rezepturen seiner Kinderprodukte wie Joghurts, Getränke, Cerealien ebenfalls an die Richtlinien der WHO anpassen. Man wolle „eine bewusste Ernährung für alle leistbar und einfach machen“, teilt Aldi Süd auf Anfrage mit. Und Lidl betont im Marketing-Sprech: „Unser Ziel ist es, gesunde Lebensmittel in den Fokus der Ernährung von Kindern zu stellen und ein gesundes Umfeld zu schaffen.“
Auch wenn sich die Discounter allzu offensichtlich als neue Verbraucherschützer gerieren, brachte ihnen insbesondere die letzte Initiative viel Beifall von Ernährungsberatern wie auch der Verbraucherorganisation Foodwatch ein. Natürlich haben die Discounter auch dieses Mal das Verkaufspotenzial gründlich analysiert, wie auch GfK-Expertin Petra Süpitz einschätzt: „Das Bewusstsein für Gesundheit und Fitness hat bei den Deutschen durch die Pandemie noch einmal zugenommen. Am größten ist die Nachfrage nach Produkten, die mehrere Trends auf einmal bedienen: Konsumenten kaufen beispielsweise pflanzliche Produkte, weil sie denken, dass diese gut für ihre Gesundheit sind – aber auch, weil die Fleischersatzprodukte die Umwelt und das Tierwohl schützen.“
„Die Discounter werden dieses Jahr ihre Marktanteile weiter ausbauen“
Die Discounter nutzen dabei auch, dass sie ihre zahlreichen Eigenmarken ganz nach ihren Zwecken gestalten und vermarkten können. Rund 75 Prozent machen diese Handelsmarken bei Lidl aus, gar 90 Prozent sind es bei Aldi. Infolge der hohen Inflation ist nicht nur der Umsatz mit Eigenmarken deutlich gestiegen, sie haben auch neue Kunden gewonnen, sagt EY-Experte Wahby. „Wenn die Kunden nicht nur im Supermarkt, sondern auch beim Discounter einkaufen, bleiben sie auch dabei – das gilt für alle Käuferschichten. Die Discounter werden ihre Chance nutzen und in diesem Jahr ihre Marktanteile weiter ausbauen.“
Wahby sieht gerade das beschränkte, aber deshalb auch gut sichtbare Warenangebot der Discounter als Vorteil gegenüber der Supermarktkonkurrenz, die stärker für Vielfalt und ein breites Einkaufserlebnis stehe. Die Discounter hätten aber erkannt, dass das Sortiment mit dem guten Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr ausreiche. „Die Discounter stellen sich neu auf – mit Themen wie bewusstere Ernährung, mehr Nachhaltigkeit und auch Corporate Responsibility. Sie versuchen, ihre Marken neu aufzuladen.“
Discounter und Supermärkte setzen auf den Gesundheitstrend
Eigenmarken
Auch wenn sich andere Discounter und Supermärkte nicht so dezidiert wie Lidl und Aldi zu den WHO-Nährwerten bekennen, spielt das Thema Gesundheit auch bei ihnen eine immer größere Rolle. Dazu nutzen sie vor allem ihre Eigenmarken.
Kaufland
Das Neckarsulmer Unternehmen teilt auf Anfrage mit, man wolle bis 2025 bei 200 Eigenmarkenprodukten den Gehalt von Zucker, Salz und/oder Fett verringern. Zudem überprüfe man bei Artikeln, deren Zucker-, Salz- und Fettgehalt bereits verringert wurde, „weitere Reduktionsmöglichkeiten“. Zudem prüfe man „derzeit intensiv die Einhaltung der Richtwerte der WHO für unsere Produkte“.
Edeka
Der Unternehmensverbund betont, man wollte „die Reformulierung bei den Eigenmarken weiter vorantreiben“, was den reduzierten Zucker- und Salzgehalt betreffe. Der Fokus liege hier auf Süßwaren, Gebäck und alkoholfreien Erfrischungsgetränken.
Rewe und Penny
Rewe und die Discount-Tochter Penny betonen, dass sie „seit 2020 als erste Lebensmittelhändler in Deutschland“ bei den Eigenmarken auf den Nutri-Score setzen. Mittlerweile seien mehr als 80 Prozent des Eigenmarkensortiments mit der Nährwertkennzeichnung versehen. Zudem habe man bereits mehr als 1300 Eigenmarkenprodukte im Zucker- und Salzgehalt reduziert.