Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter reist durch das Land und macht sich stark für eine Minderheitengruppe, für die sich sonst wenige einsetzen. Er ist Beauftragter für Sinti und Roma bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Die Stadt Stuttgart plant Bänke an der Königstraße zu verlegen, damit osteuropäische Armutsmigranten dort nicht nächtigen. Auch Verantwortliche der Vesperkirche klagten dieses Jahr über Schwierigkeiten mit Sinti- und Roma-Gruppen. Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter ist Beauftragter für Sinti und Roma bei der evangelischen Landeskirche. Er reist durchs Land und informiert über die Minderheitengruppe.

 
Herr Hoffmann-Richter, in der Stuttgarter Vesperkirche gab es in diesem Jahr Probleme mit Armutsmigranten aus Osteuropa. Sie haben nun dort einen Infoabend für die Mitarbeiter abgehalten. Warum ist der Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe, die bei uns allgemein als Sinti und Roma bezeichnet wird, oft schwierig?
Die Frage ist für mich eher: Warum bezeichnen Mitbürger die Begegnung als schwierig, oder: warum machen sie sie schwierig? Das Problem liegt meines Erachtens an den Vorurteilen, mit denen andere Menschen den Sinti und Roma begegnen. Nach der Wende gab es auch in Osteuropa eine gravierende Umstrukturierung der Wirtschaft, um sie nach Weststandards rentabel und konkurrenzfähig zu machen. Die einheimische Mehrheitsbevölkerung sorgte daraufhin bei den Arbeitsämtern und in den Betrieben dafür, dass von der grassierenden Arbeitslosigkeit weniger auf sie und möglichst viel auf die Roma abgewälzt wurde. Letztlich landeten viele dieser arbeitslos Gemachten auf brachliegenden Flächen außerhalb der Orte, wo Slums entstanden. Die öffentliche Verwaltung nahm vielerorts ihre Verantwortung nicht wahr, schuf keine Infrastruktur, kein Arzt kam da hin, die Kinder wurden nicht geimpft. Inzwischen bekommen sie zwar wieder Sozialhilfe, aber sehr wenig. Von daher finde ich es erstaunlich, wie wenige von ihnen hierherkommen.
Was ist wenig?
Über fünf Millionen Roma leben in der EU, davon gerade mal zweieinhalb Prozent in Deutschland, in Stuttgart besonders wenige. Wenn es nun wirklich so ist, dass nur 80 Personen regelmäßig in der Stadtmitte sind, dann liegt für die Stuttgarter die Solidarität mit den Armen Europas weit unter dem Anteil, den andere europäische Mitbürger leisten.
Sie glauben in Stuttgart werde zu wenig für diese Bevölkerungsgruppe gemacht?
Ich habe den Eindruck, in Stuttgart gibt es bei der Stadt Berührungsängste. Es scheint in der Verwaltung Verantwortliche zu geben, die nicht bereit sind, einen angemessenen Anteil an der Überwindung der Armut zu übernehmen. Ich höre, man möchte nicht, dass Stuttgart „ein Magnet für Roma“ wird. Die überwältigende Mehrheit der Roma wünscht sich wie andere Menschen, in der eigenen Heimat leben zu können. Das weiß ich aus Besuchen in verschiedenen Ländern. Ich bin mit der Stuttgarter Obdachlosenarbeit nicht so vertraut, höre aber, dass osteuropäische Bettler in den Schlosspark gehen, da sie in Einrichtungen für Obdachlose von manchen einheimischen Obdachlose nicht gerne gesehen werden.
Aus Ihrer Sicht wird also zwischen deutschen und ausländischen Obdachlosen entschieden?
Soweit ich höre, sind nicht alle Mitarbeitenden von Einrichtungen frei von solcher Haltung, während sich das Gros dafür einsetzt, dass deutsche wie nichtdeutsche Obdachlose gleichbehandelt werden. Es wäre einfach gut, wenn es auch für Roma mehr Duschen und WCs gäbe, die sie benutzen könnten. Leider glaubt man, wenn man sie von einer Stelle wegschickt, dann sind sie nicht mehr da. Das wird aber nicht geschehen. Sie bräuchten die Sitzbänke in der Königstraße nicht, wenn sie einen anderen Platz zugestanden bekämen.
Nun gibt es mit diesen Gruppen aber auch immer wieder Probleme wie eben in der Vesperkirche.
Wenn ich höre, dass sich Menschen ungebührlich verhalten, dann appelliere ich an Fairness, das heißt, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. Fehlverhalten gibt es in allen Bevölkerungsschichten quer durch die Menschheit. Ich habe ausfällige Deutsche in Japan erlebt und sich sehr wohl verhaltende Vertreter von Roma. Das Fehlverhalten eines Menschen steht nicht für seine Nation, sondern für einen Menschen, den man am besten darauf anspricht, damit er seiner Verantwortung nachkommt. Ich habe vorgeschlagen, dass man Roma begegnet wie allen anderen Menschen auch und Spielregeln hat, die von Beginn an erklärt werden. Diskriminierend ist es zu denken, Roma verstünden das nicht.
Trotzdem fällt diese Gruppe in den Straßen mehr auf beim Betteln. Sie sprechen Leute direkt an und lassen sich nicht so leicht abwimmeln. Das stört viele.
Ich habe auch hier den Eindruck, das liegt daran, dass uns dies aufgrund unserer Vorurteile stärker auffällt. Menschen begegnen Roma oft mit anderer Grundeinstellung. Auch das Phänomen von Aggressivität, das es durchaus gibt – übrigens auch bei manchem einheimischen Stuttgartern –, bezieht sich auf die konkrete Gefühlslage einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation. Bringt man aber schon von vornherein eine Aversion gegen einen Menschen mit und der dann auch noch penetrant wird, dann schaukelt sich der Konflikt schnell auf. Ich gebe gefühlsmäßig einem aggressiv Bettelnden nicht so gerne wie einem, der mir freundlich begegnet. Aber wenn man sich den Antiziganismus und die Armut in Herkunftsländern vor Augen hält, dann kann der Wille wachsen, einen eigenen solidarischen Beitrag zu geben. Wenn ich mein Geld, das ich an diesem Tag spenden wollte, schon ausgegeben habe, aber mich noch andere ansprechen, sage ich zwar Nein, aber versuche trotzdem, freundlich zu bleiben.
Freundlich sein allein löst aber ja das Grundproblem nicht.
Mir kommt das wie eine Ausrede vor. Vergessen Sie nicht: Weit mehr als Menschen mit deutscher Grundsicherung sind viele Menschen in Europa aus einem Standard herausgefallen, mit dem sie noch leben könnten. Und an vielen Orten werden Roma obendrein so ausgegrenzt, dass sie keine Chance mehr bekommen. Auch wenn bestimmte Verantwortliche in der Verwaltung sich immer noch drücken oder blockieren, hindert dies niemanden und auch keine Nichtregierungsorganisation daran, mit Mitmenschlichkeit voranzugehen.