Auch eine Traditionsbranche muss sich umstellen. Für den Maschinenbau werden Software und intelligente Steuerungen immer wichtiger. Deutschland und Baden-Württemberg können ganz vorne mitspielen, wenn die Chancen genutzt werden.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Der Siegeszug von Industrie 4.0 ist unaufhaltsam. Vor Jahren sprachen viele noch von einem Hype, einem Strohfeuer. Davon redet heute kaum noch jemand. An Industrie 4.0 kommt auch die Traditionsbranche Maschinenbau nicht vorbei. Darüber waren sich die Experten bei einer Diskussionsveranstaltung der Stuttgarter Zeitung in Kooperation mit der Unternehmensberatung Roland Berger und dem landeseigenen Förderinstitut L-Bank zum Thema „Maschinenbau 4.0“ einig. Deutschland und Baden-Württemberg können ganz vorne mitspielen – wenn die Chancen genutzt werden. Die Amerikaner verstünden zwar viel von Software, sagte Karl-Heinz Streibich, der Vorstandsvorsitzende der Darmstädter Software AG, aber in den Fabriken seien sie noch weit entfernt von dem, was hier zu Lande unter Industrie 4.0 verstanden werde: „Die wachen jetzt erst auf.“

 

Flächendeckende Breitbandverkabelung entscheidend

Die entscheidende Voraussetzung, der Industrie 4.0 zum Durchbruch zu verhelfen, sei aber eine flächendeckende Breitbandverkabelung: „Wir müssen jetzt schon die Voraussetzung dafür schaffen, dass auch unsere Kinder noch Exportweltmeister bleiben können.“ Einen Blick in die Zukunft hatten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion auf der Industriemesse in Hannover geworfen – alle waren sie noch kurz zuvor in der niedersächsischen Landeshauptstadt, und die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut brachte eine taufrische Erkenntnis mit: Baden-Württemberg sei „wie kaum eine andere Region in Europa“ prädestiniert, zum Vorreiter bei Industrie 4.0 zu werden. Thomas Rinn, Seniorpartner und Leiter des Stuttgarter Büros der Unternehmensberatung Roland Berger, war geradezu „begeistert“, von dem, was er auf der Industriemesse gesehen hatte. Und wenn Streibich sage, jetzt müssten die Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft geschaffen werden, könne er dies „nur unterstreichen“.

350 Besucher in der Rotunde der L-Bank

Allerdings, so die Diagnose Rinns, die kleinen und mittleren Unternehmen hinkten bei Industrie 4.0 hinterher, während die Großen schon auf Touren gekommen seien. Die kleineren Unternehmen müssen auch nach Meinung der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin erkennen, dass sie bei Industrie 4.0 keine Zeit mehr verlieren dürften: „Der Markt baut den Druck auf.“

Ralf Dieter, der Vorstandschef des Lackieranlagenbauers Dürr AG aus Bietigheim-Bissingen, sagte, in Hannover habe er viele „Ansätze“ gesehen und erzählte den etwa 350 Besuchern der Veranstaltung in der Rotunde der L-Bank Bemerkenswertes: Bei der Dürr-Tochter Homag, einem Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, werde schon lange praktiziert, was heute so mancher als Industrie 4.0 bezeichne – etwa die direkte Vernetzung mit den Kunden. Und bei der Produktion etwa von Küchen sei es durchaus üblich, die Ideen der Kunden direkt an die Maschinen zu schicken. Dieter hatte aber auch noch anderes auf Lager, das wohl manchen überraschen dürfte: Um das eigene Unternehmen in Sachen Software voranzubringen, habe Dürr kein Start-up gekauft, sondern eine bereits etablierte Firma: „Sonst hätten wir viele Jahre warten müssen.“

Individuelle Produkte statt Massenware

Natürlich, räumte Dieter bei der von Joachim Dorfs, dem Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, moderierten Diskussion ein, wird es neue Geschäftsmodelle geben. Tatsächlich gibt es schon Unternehmen, die Roboter nicht verkaufen, sondern sich dessen Nutzungszeit bezahlen lassen. Doch auch hier wachsen nach Meinung des Dürr-Chefs die Bäume nicht unbedingt in den Himmel. Streibich hatte zuvor gesagt, eine Bohrmaschine brauche man nicht zu kaufen, wenn man diese nur wenig nutze. „Wer aber sehr viel bohrt, für den ist es besser, er kauft die Maschine“, sagte Dieter; das neue Geschäftsmodell also ist möglicherweise nur ein Angebot für eine Nische.

Weit wichtiger könnte dagegen etwas anderes werden: Individuelle Produkte statt Massenware, die „Individualisierung“, wie die Fachleute sagen und Dieter es am Beispiel der Küchen dargestellt hatte. Bei einem Fraunhofer-Institut, so berichtete die Wirtschaftsministerin, laufe beispielsweise ein Projekt zum Anpassen von Brillengestellen an die jeweilige Kopfform des Brillenträgers.

Maschinenbau größter Industrie-Arbeitgeber im Land

Maschinenbau 4.0“ – das ist nicht nur ein Thema für die Branche selbst. Fast 310 000 Mitarbeiter beschäftigt diese in Baden-Württemberg, womit sie noch vor der Autoindustrie der größte industrielle Arbeitgeber im Lande ist. Der Umsatz liegt bei etwas mehr als 76 Milliarden Euro pro Jahr, davon werden fast 40 Milliarden Euro im Ausland erwirtschaftet. Um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, ist es nicht nur nach Meinung von Hoffmeister-Kraut nötig, die jungen Menschen „an das Thema heranzuführen“. Mit Hilfe ihres Ministeriums seien an einer ganzen Reihe von Schulen im Land „Lernfabriken eingerichtet worden“, in denen sich Schüler auf die Arbeitswelt 4.0 vorbereiten könnten. Über dem Maschinenbau selbst lacht zur Zeit die Konjunktursonne – ein guter Zeitpunkt, auch in Maschinenbau 4.0 zu investieren.