Die Armutsprostitution steht in Echterdingen im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion des Kreisdiakonieverbands. Ministerin Altpeter fordert, Freier zu bestrafen.

Leinfelden-Echterdingen - Perversion kennt keine Schichtzugehörigkeit. Mehr noch: je größer das Einkommen eines Freiers, umso geringer scheint die Hemmschwelle zur sexuellen Gewalt gegen schutzlose Prostituierte zu sein. Die Opfer sind meist junge Frauen aus Osteuropa, die in großem Stil nach Deutschland gekarrt werden. In der Hoffnung auf ein besseres Leben lassen sich insbesondere die schwächsten und ärmsten Frauen und Mädchen auf dubiose Geschäfte mit Menschenhändlern ein.

 

Über Armutsprostitution diskutierten diese Woche hochkarätige Gäste, darunter auch die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) auf Einladung des Kreisdiakonieverbandes Esslingen in der Echterdinger Zehntscheuer. Anlass dafür gab die geplante Novellierung des Prostitutionsgesetzes von 2002. Manfred Paulus, Kriminalbeamter im Ruhestand, betonte: „Durch das Gesetz ist Deutschland zum größten Puff Europas geworden. Damit haben wir dem Milieu eine sichere Plattform geliefert!“

„Saubere Prostitution ist ein Mythos“

Von den gut gemeinten Gesetzen, die den Sexarbeiterinnen mehr Rechte und Freiheiten einräumen sollten, hätten auch Bordellbetreiber und Zuhälter profitiert. „Das Musterbeispiel, wo die Prostitution gesellschaftsfähig geworden ist, steht nur wenige Meter von uns entfernt“, spielte Paulus auf das „Paradise“ in Echterdingen an. „Saubere Prostitution ist ein Mythos“, weiß der Experte. Mit dieser Mär habe man sich zudem „erpressbares, hoch angesehenes Klientel gesichert“ und ein Milliardengeschäft aufgebaut, von dem Kommunen durch Steuereinnahmen profitieren.

Das neue Prostitutionsgesetz, welches 2016 in Kraft treten soll, sieht unter anderem eine Anmeldepflicht für alle Prostituierten, eine medizinische Beratung beim öffentlichen Gesundheitsdienst und eine Kondompflicht für Freier vor. Das geht Katrin Altpeter nicht weit genug. Die Ministerin kämpft für ein Sex-Kaufverbot nach schwedischem Vorbild: Freier in Schweden müssen mit einer Strafe rechnen, die Prostituierten bleiben straffrei.

Die Ministerin erzürnt sich

Aktuelle Untersuchungen belegen: 80 Prozent der Schweden stehen hinter dem seit 1999 geltenden Gesetz. In Deutschland befürworten lediglich 18 Prozent der Bürger die Einführung eines solchen Verbots. Altpeter folgert daraus: „Es muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen stattfinden. Es ist ja mittlerweile völlig normal geworden, in der Mittagspause in den Puff zu gehen oder dort seinen Junggesellenabschied zu feiern“, erzürnt sich die Ministerin. „Keine Frau prostituiert sich freiwillig, es steht immer eine gewisse Form von Zwang und Ausbeutung dahinter“, sagt Altpeter.

Einen Einblick in die brutale Welt der Prostitution gewährte Gaby Breitenbach den zahlreichen Zuhörern in der Zehntscheuer. Die Trauma-Therapeutin und Leiterin der Villa Lindenfels in Stuttgart kümmert sich seit 25 Jahren um die kaputten Seelen der Prostituierten. Von ihren Klientinnen weiß sie: „Manche Freier sind so brutal zu den Huren, dass ein Arzt dabei sein muss, um den Akt abzubrechen, bevor die menschliche Ware verstirbt.“

Der Ausstieg gelingt selten

Würgen, schlagen, ersticken, ertränken, Vaginalschnitte, extreme Fesselungen, Fäkalsex, Nekrophilie – die Bandbreite an sexuellen Gewaltformen, denen die Frauen ausgeliefert sind, sei grenzenlos, sagte Breitenbach. Körperliche und psychische Langzeitschäden seien die Folge. Nicht selten wüssten sich die Frauen nach einem Ausstieg aus dem Milieu nicht mehr zu helfen und wählten den Freitod. Das Frauencafé „La Strada“ am Stuttgarter Leonhardsplatz bietet deshalb Prostituierten und auch Aussteigerinnen einen Rückzugsort und Schutzraum. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Cafés, Antje Sanders und Maria Kaiser, berichteten von ihrer Arbeit. In einem Patinnen-Modell begleiten Ehrenamtliche die ehemaligen Huren auf dem Weg in ihr neues Leben. Dafür brauche man neben der nötigen Sicherheit für Personal und hilfesuchende Frauen auch einen langen Atem. Sanders betreut aktuell eine Aussteigerin, die von einem ihrer Freier schwanger geworden ist. „Ich kämpfe mit Händen und Füßen, dass diese Frau nach der Geburt nicht wieder in die Prostitution abgleitet“, sagte Sanders.

Die wenigsten schaffen demnach den Ausstieg für immer. Schulden, Abhängigkeit, Bedrohungen und Perspektivlosigkeit drängen viele Aussteigerinnen wieder zurück in die Sexarbeit. Um von dem Beruf einigermaßen leben zu können, müssen die Frauen mindestens sieben Freier pro Tag bedienen. „Bei einer Zimmermiete von 120 Euro am Tag in einem Laufhaus, braucht die Hure allein vier Freier um das Zimmer abzubezahlen, zwei Freier, um den Zuhälter zu bezahlen, einen, um ihre Familie in der Heimat zu unterstützen. Und dann hat sie noch lange nichts gegessen oder getrunken“, rechnet Maria Kaiser vor.

Prostitution, um die Flucht abzubezahlen

Aktuell beobachte man darüber hinaus einen Anstieg der Flüchtlingsprostitution. Viele junge Frauen, die vor Angst, Terror und Krieg aus ihren Heimatländern fliehen mussten, verkaufen hierzulande für wenig Geld ihre Körper, um ihre Flucht in ein sicheres Land abzubezahlen.