Ministerpräsident Kretschmann erntet für Prämien-Vorschlag Kritik aus den eigenen Reihen. Auch Umweltministerin Schulze fordert eine Öko-Verkehrswende ohne Kaufanreize für Verbrenner. Die Arbeitnehmervertreter sorgen sich um den Verlust von Arbeitsplätzen und wollen die Autokäufe ankurbeln.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Vor dem Hintergrund der vielleicht schwersten Rezession der deutschen Nachkriegsgeschichte spitzt sich der Streit über die Ausgestaltung der Hilfen für die Wirtschaft zu. Umweltministerin Svenja Schulze forderte am Montag in Berlin eine ökologische Verkehrswende. Bei der Vorstellung einer von ihrem Ministerium in Auftrag gegebenen Studie zu sozial-ökologischen Konjunkturmaßnahmen erteilte sie zudem möglichen Abwrackprämien und Kaufprämien für neue Benzin- und Diesel-Pkw eine klare Absage. „Ich halte simple Abwrackprämien, wie es sie schon mal gab, nicht für zielführend“, sagte Schulze. Sie tritt dafür ein, den Wandel hin zu einem klimafreundlicheren Verkehr zu unterstützen – inklusive der E-Mobilität und alternativer Kraftstoffe, aber auch des Rad- und Bahnverkehrs.

 

Die Ministerin stellt sich damit gegen Betriebsräte und Unternehmensvertreter aus der deutschen Autoindustrie sowie die Ministerpräsidenten der Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Sie machen sich dafür stark, dass der Staat neben E-Autos auch den Kauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor fördert. Zuletzt hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Gespräch mit unserer Redaktion entsprechende Forderungen erhoben. Kritik erntet er dafür vor allem aus seiner eigenen Partei: „Winfried Kretschmann ist mit diesem Vorstoß innerhalb der Partei isoliert“, sagte Georg Kurz, Bundessprecher der Grünen Jugend. „Verbrennungsmotoren zu fördern widerspricht allem, wofür Grüne seit Jahrzehnten kämpfen.“

Brecht sieht moderne Verbrenner als Teil der Lösung

„Das Konjunkturpaket soll Arbeitsplätze langfristig sichern“, sagte Michael Bloss. Der Stuttgarter sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist Mitglied des Industrieausschusses. „Dafür müssen wir jetzt den Strukturwandel anpacken, um den Industriestandort Baden-Württemberg klimafreundlich und digital zu gestalten.“ Statt Autokaufprämien fordert er etwa direkte Investitionen in den Umbau der Autowerke hin zu einer CO2-neutralen Produktionsweise oder Zuschüsse für die Forschungsabteilungen der Auto- und Zuliefererindustrie, damit diese nicht in Kurzarbeit geschickt werden müssen, sondern durch Innovative Konzepte Mobilitätsmärkte der Zukunft erobern.

Kretschmann dagegen schlägt eine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor ab der Schadstoffklasse Euro 6d-Temp in Höhe von 3000 und für Autos mit alternativen Antriebsformen in Höhe von 4000 Euro vor. Rückendeckung erhält der dabei von Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretern. „Wir brauchen Anreize in unseren Schlüsselindustrien, die in der Lage sind, die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen“, sagte Michael Brecht, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Autobauers Daimler. Eine Säule sei die Autoindustrie. „Kaufanreize helfen, und zwar sowohl für Elektrofahrzeuge als auch für die neueste Technologie der Verbrenner.“ Ziel sei die Reduktion von CO2. „Das schaffen wir nur, wenn wir die neueste Generation der klassischen Antriebe nicht verteufeln, sondern sie als Teil der Lösung sehen.“

DGB fordert, dass sich die Autoindustrie an den Kosten beteiligt

Die Autoindustrie habe Milliarden in die Optimierung von Verbrennungsmotoren und die Entwicklung alternativer Antriebe und nachhaltiger Mobilitätskonzepte gesteckt. „Das Geld für diese Investitionen muss verdient werden. Und da stottert der Motor momentan gewaltig auf der Nachfrageseite.“ Ein Kaufanreiz bringt nach Ansicht von Michael Brecht auf lange Sicht deutlich mehr, als er kostet. Zudem befände man sich nicht nur auf der Nehmerseite: „In der vergangenen Dekade hat die Automobilindustrie ordentlich in die Steuerkasse einbezahlt“, so Brecht. „Mit diesem Geld konnten Kommunen, Land und Bund arbeiten. Jetzt braucht es einen Impuls in die andere Richtung.“ Der Arbeitnehmervertreter warnt vor den Folgen eines Abschwungs: „Je länger die Wirtschaft stillsteht, umso brutaler werden die negativen Folgeeffekte sein – das gilt für Arbeitsplätze, Wohlstand und den sozialen Frieden innerhalb der Gesellschaft“, sagte Brecht. „Die Ausmaße der Rezession sind historischen Ausmaßes.“

Die Autokaufprämie könne ein Instrument sein, um Arbeitsplätze zu erhalten, sagte Martin Kunzmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Baden-Württemberg, unserer Zeitung. Andere Bausteine könnten Konsumgutscheine oder eine Mobilitätsprämie sein, die auch für andere Verkehrsmittel einsetzbar ist. „Die Autoindustrie sollte an den Kosten für die Kaufprämie auf jeden Fall beteiligt werden“, forderte Kunzmann. „Sie hat Milliarden versenkt bei den Abgasmanipulationen. BMW hat im abgelaufenen Geschäftsjahr fünf Milliarden Euro verdient und will 1,6 Milliarden Euro an die Aktionäre ausschütten. Da ist es nur recht und billig, wenn eine Kaufprämie von den Herstellern mitfinanziert wird.“ Der Schwerpunkt bei Absatzförderung müsse auf ökologischen Antrieben liegen. Die Förderung sollte technologieoffen sein und auch für emissionsarme Verbrenner gelten.