Steht der Bonatz-Bahnhof auf Eichen- oder Betonpfählen? Zu dieser Frage hat die Bahn eine Planung von 1914 aus dem Ärmel gezaubert.

Stuttgart - Die Frage, ob der alte Bonatz-Bahnhof auf Eichen- oder Betonpfählen ruht, hat in der Diskussion über Stuttgart 21 » in der Vergangenheit durchaus eine Rolle gespielt. Die Projektgegner haben stets damit argumentiert, dass das Fundament des Bahnhofs und insbesondere der Bahnhofsturm auf Holzpfählen gegründet seien. Das Risiko, dass durch die im Zuge der Baumaßnahmen beabsichtigte Grundwasserabsenkung die Pfähle austrocknen könnten und dann ein irreversibler Fäulnisprozess einsetzen könnte, sei gegeben. Dies könnte die Stabilität des Bahnhofsturms gefährden.

Letzterem haben die Bahn und das Stuttgart-21-Kommunikationsbüro zwar stets vehement widersprochen, die Existenz der Holzpfähle galt aber bis vor wenigen Monaten als Konsens. Noch im Januar 2010 hatte der Stuttgart-21-Chefplaner Hany Azer in einem Zeitungsinterview auf die Frage, ob der Turm in Gefahr sei, geantwortet: "Nein. Wir werden alles dafür tun, damit nichts passiert. Der Reichstag in Berlin steht übrigens auch auf Holzpfählen."

Ende August erklärte der Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven dann bei einem Gespräch mit Journalisten die Befürchtungen grundsätzlich für unbegründet; man habe bei Untersuchungen im Untergrund des an den Turm anschließenden Südflügels lediglich Betonpfähle entdeckt. Im Oktober ließ sich der Stuttgart-21-Tragwerksplaner Werner Sobek, nahezu wortgleich zitieren. Auch die Passage auf der Homepage des Kommunikationsbüros, in der jahrelang ausschließlich von Eichenpfählen die Rede war, ist inzwischen gelöscht.Einen Nachweis für ihre Behauptungen blieben die Projektbefürworter aber schuldig.

Handelt sich um einen "Übermittlungsfehler"?


Erst jetzt im Zuge der Schlichtungsgespräche legte die Bahn überraschend eine geprüfte Statikplanung aus dem Jahr 1914 vor – dem Jahr, in dem der Turmbau begann. Darin heißt es: "Die gesamte Turmlast von 10.300 Tonnen wird durch 189 Eisenbetonpfähle auf den Boden übertragen." Man sei erst vor kurzem beim Durchforsten alter Unterlagen auf das Dokument gestoßen, so eine Sprecherin des Kommunikationsbüros.

Das wiederum verwundert die Projektkritiker. Nach Angaben des früheren Bahnhofsvorstehers Egon Hopfenzitz sind Unterlagen über den Bau des Bonatz-Bahnhofs von der Bahn inzwischen vernichtet worden. Er beruft sich auf eine Diplomarbeit aus dem Jahr 1987, deren Autor aus Akten der Bundesbahndirektion Stuttgart zitiert. Dort ist von 288 Eichenpfählen unter dem Bahnhofsturm die Rede. Und auch der Bonatzenkel Peter Dübbers sagt, er habe seinen Großvater immer nur von Holzpfählen sprechen hören.

Beim Kommunikationsbüro schließt man einen "Übermittlungsfehler" nicht aus. Schließlich habe auch der Schlichter Heiner Geißler Verständnisprobleme mit dem phonetischen Unterschied zwischen "Eisen"- und "Eichenpfählen" gehabt.