Aalen - Die Frau in dem kleinen Schuhladen in der Aalener Fußgängerzone hat eine klare Meinung. Das Rathaus sei ein hässliches Ungetüm, der Sichtbeton trist. „Wenigstens ein bisschen Farbe könnte es vertragen.“ Der Oberbürgermeister Thilo Rentschler (SPD) kennt solche Stimmen. „Es gibt Menschen, die das ganze Gebäude am liebsten in die Luft sprengen würden.“ Anders bekommt man den massiven Betonbau wohl auch nicht weg. Von 1973 bis 1975 ist er von dem Reutlinger Architekten Helmut Schaber auf einer Industriebrache am Rande der Aalener Altstadt erbaut worden. Brutalismus hieß der Baustil, also mit viel Beton, klaren Formen und scheinbar für die Ewigkeit. Jetzt kommt er in die Jahre, und es stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen?
Wie Aalen ergeht es vielen Städten in Baden-Württemberg, deren einstige Neubauten allmählich zu Sanierungsfällen werden. Die 1960er und 1970er Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs und des Neubaus. Das Heidenheimer Rathaus stammt aus jener Zeit, das Reutlinger ebenso. Der Sindelfinger Verwaltungssitz, 1970 erbaut, steht sogar unter Denkmalschutz. Auch in Aalen war durch die Kommunalreform und die Eingemeindungen der Wunsch nach größeren Räumen und nach einem neuen Identifikationspunkt gewachsen. „Ein Baukörper, der sinnfällig den Charakter eines Rathauses dieser Größenordnung trägt und dem Maßstab der Altstadt gerecht wird“, urteilte damals das Preisgericht über Schabers Siegerentwurf.
Die alte Reichsstadt wird fast erschlagen
So würde man es heute nicht mehr formulieren. Der 150 Meter lange Koloss mit seinem sieben Stockwerke hohen Büroturm scheint die benachbarten Giebelhäuschen der alten Reichsstadt fast zu erschlagen. Tatsächlich hielt auch damals die Begeisterung nicht lange an. Schon zur Eröffnung begann die Anfeindung. Viele sprachen von einer Bausünde, vom „Panzerkreuzer Schübel“. Karl Schübel hieß seit Jahrzehnten der Oberbürgermeister. Bis 1945 war er bei der NSDAP, im Jahr 1950 kehrte er als Parteiloser wieder.
Dank der Funkmasten auf dem Dach ist die Kriegsschiffanmutung heute sogar noch besser zu erkennen. „Man verliebt sich in das Gebäude erst auf den zweiten Blick“, räumt Thilo Rentschler ein. Der OB amtiert seit 2013 und hat in dieser Zeit wohl mehr als einmal hingeschaut. Das Gebäude habe schon seine Qualitäten. Funktionell gebe es keine Mängel. Auch nach 45 Jahren finde die gesamte Kernverwaltung mit ihren mehr als 300 Mitarbeitern dank der flexiblen Raumaufteilung Platz. Der Ratssaal mit seinen großen Fenstern schiebe sich nach vorne in die Stadt. „Hier pulsiert die Kommunalpolitik.“ Hinzu komme das attraktive Foyer, das sich als Bürgersaal für Vorträge, Feiern und Ausstellungen nutzen lasse. „Bei jedem Rathaus, das nun gebaut würde, würde so etwas aus Kostengründen aus dem Raumprogramm fliegen“ – da ist er sich sicher.
Die Schreibtischplatte ist etwas abgewetzt
Rentschlers Amtszimmer liegt genau zwischen den Büros im Verwaltungsturm und dem Trakt mit den zwei Ratssälen und den Fraktionszimmern. Die Wände sind mit dunkelbraunen Wandschränken vertäfelt, in der gleichen Farbe ist auch der schwere Schreibtisch gehalten. Er ist gut in Schuss, nur vorne an der Arbeitsplatte sieht man, dass sich hier schon drei Amtsvorgänger aufgerieben haben. „Das ist immer noch die erste Garnitur“, sagt Rentschler. Wertarbeit.
Der OB will keinen Neubau. Doch was will die Bevölkerung? Was sagen die Experten? Wie lässt sich das Gebäude energetisch auf den heutigen Stand bringen? In einer Veranstaltungsreihe lässt Rentschler dies ergründen. Am Dienstagabend hat Werner Sobek vor rund 250 Zuhörern seine Einschätzung abgeliefert. Der Stuttgarter Architekturprofessor hat Büros in Berlin, Dubai und New York, geboren und aufgewachsen ist er in Aalen. Sobek ist Minimalist. Gerade hat er dem Aufzugstestturm in Rottweil ein Negligé in Form einer schraubenförmigen Stofffassade übergeworfen. Mit Betonburgen wie dem Aalener Rathaus, das gibt er offen zu, kann er wenig anfangen. Dennoch ist seine Empfehlung klar: „Man hat hier etwas stehen, dass man nicht abreißen sollte.“
„Wir brauchen eine clevere Therapie“
Für Sobek geht es um eine Frage der Nachhaltigkeit. Dazu macht er eine beeindruckende Rechnung auf. Das Bauwesen stehe allein für 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs. Bei der Betonherstellung werde mehr CO2 erzeugt als im gesamten Flugverkehr. Für die 34 000 Tonnen Beton, die im Rathaus verbaut seien, seien 2720 Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen worden. „Ein einzelner Baum bräuchte 27 Millionen Jahre, um das wieder zu binden.“
Ein Neubau, auch wenn er im Betrieb klimaneutral sei, erzeuge neue Emissionen. Seine Empfehlung: Toilettensanierung, Einbau einer Wärmepumpe und Fotovoltaik sowie eine massive Fassadenbegrünung, dazu neue Fenster. „Wir brauchen eine clevere Therapie.“ Das gefällt den Aalenern. „Wir haben uns an das Rathaus ja gewöhnt“, meint einer.