Der Fall Franziska Giffey ist ein Fall Tanja Börzel. Als Gutachterin beurteilte sie ihre eigene Ignoranz, kommentiert unser Kolumnist Götz Aly.

Berlin - Ob Franziska Giffey die Hoffnung auf eine gute Regierende Bürgermeisterin erfüllen könnte, mag jeder Wahlberechtigte selbst entscheiden. Aus meiner Sicht verdient sie eine Chance: Sie war in Berlin-Neukölln Schulstadträtin, sammelte Erfahrungen als Bürgermeisterin dieses nicht einfachen Bezirks, und schließlich hat sie ihre Sache als Bundesministerin nicht schlecht gemacht. Den Makel ihrer teils inkorrekten Doktorarbeit lege ich nicht nur ihr, sondern vor allem ihrer Doktormutter, Tanja Börzel, zur Last.

 

Manche sprechen von einer „Beutegemeinschaft“

Mit gelegentlichen Unterbrechungen lehrt Frau Professor Börzel seit 2003 internationale und europäische Politik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Ihr Ehemann Thomas Risse unterrichtet dort seit 2001 etwas Ähnliches. Zusammen gründeten sie, wie manche sagen, eine „Beutegemeinschaft“: Er fungierte mehrfach als Dekan, sie lenkt seit Langem den Promotionsausschuss und sitzt im Akademischen Senat. Die von ihr mitangeführte, bei den akademischen Wahlen stets siegreiche Liste Vereinte Mitte bestimmt die Präsidenten und ein oder zwei Vizepräsidenten der Universität. Es bestehen Abhängigkeiten. Börzels Ehemann Risse sitzt im Senat und im Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dort wird der regelmäßige Zufluss von Drittmitteln in aller Diskretion gelenkt – und wer viele „eingeworbene“ Millionen verwaltet, gilt im Unibetrieb nicht selten und vorschnell als „exzellent“.

Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, wie es Tanja Börzel, der Betreuerin von Giffeys Doktorarbeit, gelingen konnte, die Prüfung der Plagiatsvorwürfe an sich zu reißen. Als Gutachterin beurteilte sie ihre eigene Ignoranz. Weder regte sich im Akademischen Senat Widerstand, noch intervenierte FU-Präsident Günter Ziegler, noch kümmerte sich der als Wissenschaftssenator tätige Regierende Bürgermeister Michael Müller um seine Pflichten zur Rechtsaufsicht über die Universität. Bedenkt man zudem, dass Börzel den Promotionsausschuss im Lauf der Zeit mit Günstlingen besetzte, wie „Die Zeit“ berichtet, dann liegt ein Korruptionsverdacht nahe.

Erste nach Presseveröffentlichungen interessierten sich die Verantwortlichen

Offenbar interessierte das die Verantwortlichen an der FU erst, nachdem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ immer wieder beharrlich auf den Fall Giffey zurückgekommen war, nachdem dann – leider, muss man sagen – die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus den Fall aufgegriffen hatte und sich schließlich auch die CDU zur Wahrnehmung ihrer oppositionellen Pflichten aufrappeln konnte.

Trotz oder gerade wegen derart umfangreicher Protektion und Netzwerkerei blieb das wissenschaftliche Werk von Tanja Börzel dürftig. Schauen wir dafür in den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek. Im Wesentlichen finden sich dort thematisch teils eng verwandte Aufsätzchen und Arbeitspapiere, von denen manche weniger als sechs Seiten umfassen. Mehr als die Hälfte dieser Kleinstarbeiten wurde mit anderen Autoren gemeinsam verfasst. Daneben beteiligte sich Börzel an einigen Herausgeberschaften. Als Monografie findet sich eine online veröffentlichte Dissertation von minderem Gewicht. Der Fall Giffey ist ein Fall Börzel, damit ein Fall familiarisierter, intransparenter, wissenschaftlich kontraproduktiver Verhältnisse an der Freien Universität.

Vorschau
Am nächsten Dienstag schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Katja Bauer.