Die Mission Titelverteidigung der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2018 ist gescheitert. Die Gründe liegen in sportlichen Bereich – aber beileibe nicht nur.

Sport: Marco Seliger (sem)

Moskau - Es sind Szenen, die einen ersten Hinweis darauf liefern, dass das nichts werden könnte bei dieser WM. Es sind Szenen, die es auf den Kreisligaplätzen der Republik in jeder Woche zu sehen gibt. Die eine Mannschaft, der Außenseiter, spielt hart, oft an der Grenze, manchmal darüber hinaus. Der Favorit aber nimmt den Kampf nicht an. Stattdessen jammert er, er lamentiert. Reagiert manchmal sogar beleidigt, wenn der Schiedsrichter kein Foul pfeift.

 

Hinterher ist man ja immer schlauer – aber die Szenen in Moskaus Luschniki-Stadion beim ersten deutschen Gruppenspiel bei dieser WM am 17. Juni waren eindeutige Signale. Das des Scheiterns der deutschen Elf. Des Weltmeisters. Gegen den kämpfenden und gerissenen Außenseiter aus Mexiko. Aber auch gegen sich selbst. Im Kampf gegen die eigene Überheblichkeit. Der Bundestrainer Joachim Löw attestierte seinem Team Tage später nach dem bitteren Vorrunden-Aus im Rückblick eine „Selbstgefälligkeit“, die es in diesem ersten Spiel gegen Mexiko gegeben habe.

Selbstgefälligkeit. Vernichtender kann ein Trainerurteil nicht ausfallen. Wir sind schon wer. Wird schon. Wir sind ja der Weltmeister. Und was wir machen, ist sowieso richtig. Wir sind die Unantastbaren. Mit dieser Haltung lief die DFB-Elf ins Verderben bei dieser WM – einer WM, deren Spiele wie wohl selten zuvor durch Leidenschaft, Hingabe und totale Aufopferung geprägt sind und dadurch oft entschieden werden. Die Deutschen opferten sich nicht auf. Nicht im ersten Spiel, nur kurz im zweiten, nicht im dritten.

Aber das ist nur ein Aspekt in einer vielschichtigen Diskussion, die sich um die Frage dreht, inwiefern das Konstrukt Nationalmannschaft noch taugt als Vehikel der Identifikation.

Zunehmende Entfremdung zur Basis

Joachim Löws Jungs sind derzeit keine echten Herzbuben mehr für die breite Masse, die auf den Public-Viewing-Plätzen zwar noch dem Fußballevent fröhnt, Länderspielen aber immer öfter fernbleibt und im Internet deutlich kritischere Töne anschlägt – auch abseits des billigen Populismus. Die jüngsten Darbietungen sind dabei das eine, das Gefühl der bedingungslosen Hingabe konnte diese Mannschaft – anders als 2014 und davor – nicht mehr verbreiten. Aber auch abseits des Rasens sind Tendenzen zu beobachten, die für eine zunehmende Entfremdung zur Basis sorgt.

Der Tross dieser Nationalelf lebt in einer Blase. An einem anderen Ort, über dem ein großes Schild prangen könnte: Abschottung! Schon in der ultimativen WM-Vorbereitung, im Trainingslager in Südtirol, waren die Sicherheitsvorkehrungen so ausgeprägt, als würde der Papst gleich eine Audienz halten. Mehrere Kilometer vor dem Quartier standen bewaffnete Carabinieri, wurden weit entfernte Wanderwege im Wald abgesperrt, wurden Planen aufgehängt, die jede Sicht auf das Heiligtum – die Mannschaft – verhinderten. Nach Pressekonferenzen wurden die Spieler zu abgedunkelten Limousinen geführt, die so manchen Spitzenpolitiker vor Neid erblassen lassen würden.

Die Profis werden durch solche Bauchpinseleien im Alltag zu Halbgöttern stilisiert. Und es soll ja durchaus auch Charaktere geben, die für solche Signale recht empfänglich sind.

Zuschauer sind beim Training nicht gern gesehen

Wenn in den Tagen von Eppan an der Weinstraße übrigens dann doch mal jemand zuschauen durfte im Training, wenn der DFB also mal ein paar Schüler aus der Region reinließ, dann wurde diese Selbstverständlichkeit hinterher so verkauft, als würde Ostern, Weihnachten und Kindergeburtstag auf einen Tag fallen. Draußen standen am Waldrand übrigens jeden Tag Hunderte deutsche Familien, die in der Gegend Urlaub machten. Sie durften nicht ein einziges Mal zuschauen. In insgesamt zweieinhalb Wochen.

Diese Haltung wirkt abgehoben – und stiftet nicht gerade Identifikation. Ebenso wenig Kampagnen, die das Nationalteam nicht mehr als Sportmannschaft, sondern als Marketinginstrument erscheinen lassen. „Zsmnn“, „Best neVer Rest“, vor zwei Jahren „Vive La Mannschaft“ – so lauten die Leitsprüche, die monatelang platziert werden. Zusammen also sollte 2018 alles erreicht werden, im Internet und in der analogen Fußballwelt. Überall, erst in Südtirol, dann auch in Russland, im Quartier von Watutinki, hingen die „Zsmnn“-Plakate, die das Motto dieser DFB-Elf vorgeben sollten. Doch wie holt man die Basis ins Boot, wenn man sie im Alltag aussperrt – und ihr ausgerechnet mit Plakaten die Sicht auf den Trainingsplatz versperrt, auf denen dann auch noch dieses komische „Zsmnn“ zu lesen ist? Wenn Spieler und Trainer in unzähligen Werbespots auftauchen, aber kaum mehr als nahbares Wesen.

Analyse auch abseits des Rasens

Jetzt, bei der WM folgte der Zsmnnbrch. Der sportliche. Der schleichende Prozess der Entfremdung mit der Basis wurde beschleunigt. Der gemeine Fan sehnt sich nach einfachen Botschaften. Auf dem Platz, aber auch daneben. Weit weg aber sind diese Nationalspieler, ist „Die Mannschaft“ und ihr Tross für ihre Fans. Fast schon in einer anderen Welt. Weshalb die Anhänger dann wiederum auch vermehrt gerne mal weg bleiben. Was sich zuletzt auch schon bei nicht ausverkauften Testspielen zeigte.

Was es braucht, um all das wieder zu ändern? Um nach diesem WM-Aus irgendwann eine neue Euphorie rund ums DFB-Team zu schaffen? Sportlichen Erfolg, klar. Tollen Fußball, logisch. Aber vor allem auch Verantwortliche, die verstehen, dass auch ein viermaliger Weltmeister noch zum echten Leben gehört. Dass man aus einer Blase heraus die Menschen drum herum nur schwer begeistern und mitnehmen kann. Dass mehr Offenheit noch selten geschadet hat. Auch im Umgang mit Krisen. Die zögerliche Aufarbeitung des Fallen Mesut Özil/Ilkay Gündogan kam nicht gut an, durch die veröffentlichten Aussagen fühlten sich viele Fans für dumm verkauft.

Der innere Zirkel der Nationalelf hat nun genügend Zeit, das Geschehen rund um diese WM zu analysieren. Das auf dem Platz, aber auch das daneben.