Die Wissenschaft sucht Wege, ihre Qualität bei Promotionen zu sichern, denn die Massenpromotionen sind ein Problem.  

Berlin - Der Zorn der Wissenschaftler über Doktorarbeiten fälschende Politiker sitzt tief. Er war auf einer hochschulpolitischen Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin zum Thema "Plagiate und Qualitätssicherung in der Wissenschaft" noch deutlich spürbar - gut acht Monate nach der Demission Karl-Theodor von Guttenbergs als Minister. Der Doktorgrad war einst von der bürgerlichen Bildungsgesellschaft eingeführt worden als Gegengewicht zum Adelstitel im Feudalismus, bemerkte Hans-Gerhard Husung von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK): "Es hat mich geärgert, wie ein Adeliger da unsere bürgerlichen Werte traktiert hat." Kopfschüttelnd berichtete ein Professor aus Heidelberg, wie sich die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin mit allen Mitteln gegen die Aberkennung ihres Doktortitels durch seine Uni wehrt.

 

Auch die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, zeigte sich "entsetzt" über die Politik, die in der Guttenberg-Affäre so getan habe, als ob moralisches Vergehen in der Wissenschaft etwas anderes sei als im öffentlichen Leben. Dennoch meinten einige der Referenten, man müsse Guttenberg "fast dankbar" sein, dass sein Fall eine Debatte über wissenschaftliches Fehlverhalten ausgelöst habe. Die Einführung von Plagiatssoftware ist zwar verbreitet, aber Wintermantel wollte nicht "neuen Kontrollmechanismen" das Wort reden. Sie verlangte eine "neue Kultur" der Promotionen, in deren Mittelpunkt die Beziehung des Doktoranden zu seinem Doktorvater stehen müsse. Sie selbst vertrete den Standpunkt, dass man "keine ernsthafte Betreuung" machen könne, wenn ein Professor "mehr als vier Doktoranden" habe. Aber sie wisse, dass sie mit dieser Meinung Erstaunen auslöse.

Mehr Doktoranden, mehr Geld

In der Tat ist berichtet worden, dass einzelne Professoren offenbar bis zu 100 Doktoranden haben - die natürlich von Assistenten mitbetreut werden. Auf den Druck, möglichst viele Promoventen durchzuschleusen, wies die Kanzlerin der Uni Potsdam, Barbara Obst-Hantel hin: Je nach Bundesland verschieden könnten bis zu 30 Prozent der Mittelzuweisungen sich an Leistungsmerkmalen orientieren, und da sei die Zahl der Doktoranden ein Kriterium. Selbst die Besoldung von Professoren hänge an der Doktorandenzahl. Mehr Menge bringt mehr Geld.

Erzeugt das Wissenschaftssystem mit seinen jährlich 25.000 Promotionen nun Masse statt Klasse? Die Frage blieb unbeantwortet, denn es gebe kaum gültige Methoden, die Qualität von Publikationen zu messen, hieß es allenthalben. Auffällig sind nur die hohen Diskrepanzen im Wissenschafts-Output. So promovieren bei den Chemikern 80 bis 90 Prozent aller Absolventen, weil es der Arbeitsmarkt so erfordert. Erstaunen lösten Zahlen des Wissenschaftssoziologen Stefan Hornbostel aus, wonach an der renommierten Ludwig-Maximilians-Universität in München nur vier Prozent der Promotionen mit summa cum laude abschließen, an der Uni Kiel und der Freien Uni Berlin schaffen aber 70 Prozent die Bestnote. Die Subjektivität in der Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen ist also hoch. Klaus Petermann, Ingenieurprofessor der TU Berlin, brachte es auf den Punkt: "Jeder denkt doch, bei mir sind die Guten, und mein Kollege vergibt viel zu gute Noten. Wir brauchen mehr Transparenz."

"Man muss Doktoranden auch mal machen lassen!"

Einige Hinweise brachte die Tagung, was in Zukunft zu tun sei: So könnten die Fakultäten Mindeststandards in der Doktorandenbetreuung - Gruppengrößen, Gesprächsintervalle - festlegen. Mit einer simplen Methode könnte die offene Aussprache beflügelt werden, indem - wie in Potsdam üblich - einmal jährlich die Doktoranden nach ihrer Zufriedenheit befragt werden. Auf Ablehnung stieß der Vorschlag, die Gutachten über die Promotionen zu veröffentlichen. Denn man müsse die Doktoranden schützen, auch würden die Gutachter dann mit der Schere im Kopf arbeiten. Ebenso verworfen wurden formale Vorgaben für eine Doktorarbeit, so hatte Husung "50 Prozent Innovatives" verlangt, und eine Plagiatsforscherin kritisierte eine Arbeit mit nur 3,5 Seiten.

"Auch auf einer Seite können Sie eine mathematische Formel bringen, die vielleicht seit 100 Jahren gesucht wird", entgegnete ihr Katharina Al-Shamery, Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgesellschaft. Einig waren sich alle, dass die freien Promotionen, bei denen der Doktorand im stillen Kämmerlein brütet, noch möglich sein müssen. Peter Vorderer, Mannheimer Medienwissenschaftler, plädierte für sie und lehnte es ab, die "hohe Interaktion" von Doktorand und Betreuer auf eine breitere Basis zu stellen: "Man muss Doktoranden auch mal machen lassen!" Schärfere Kontrollen könnten schiefgehen. Holland sei ein abschreckendes Beispiel, da würden Promotionen an Projektstellen geknüpft. Da stelle der Doktorand keine Fragen mehr, sondern werde zur "Exekutive in der Forschung". Das wollte in Berlin niemand.