Ludwig Machmer ist für ein Jahr als Freiwilliger im palästinensischen Ramallah. Der Abiturient wollte etwas sehen von der Welt – und erzählt von der Gastfreundschaft der Menschen und deren Leben im besetzten Gebiet.

Ditzingen - Schwai, schwai. An diese Worte musste sich Ludwig Machmer erst gewöhnen. Sie beschreiben ein eher gemächliches Lebensgefühl und bedeuten so viel wie „Schritt für Schritt“. Dort, wo der 19-Jährige aus Ditzingen gerade ist, geht es langsamer zu, als es der Abiturient von zuhause gewohnt war. Noch vor einigen Monaten war sein Alltag streng durchgetaktet. Dann kam er im Sommer als Freiwilliger nach Palästina, und alles ist ein wenig anders als in der vertrauten Heimat. Eilig, so beschreibt es Machmer, hat man es hier nicht.

 

Im August hat der 19-Jährige Freunde und Familie hinter sich gelassen und die Reise nach Ramallah angetreten. Ramallah liegt im Westjordanland, es ist palästinensiches Autonomiegebiet. Ludwig Machmer ist über das Diakonische Werk Württemberg hergekommen, weil er nach der Schule nicht direkt weitermachen wollte mit Studium oder Ausbildung, sondern etwas von der Welt sehen wollte. Es gibt noch andere Einsatzländer, in die der 19-Jährige auf diese Art und Weise hätte gehen können, Tansania zum Beispiel oder Peru. Machmer aber war interessiert am Nah-Ost-Konflikt, überhaupt den Konflikten in der Region. „Ich denke, dass uns dieser Teil der Erde auch in Zukunft sehr beschäftigen wird“, schreibt Machmer per Mail, „deshalb ist es auch nicht schlecht, da etwas genauer darüber Bescheid zu wissen.“

Struktur im Alltag in der Fremde

Der Abiturient arbeitet in einem Ausbildungszentrum, das zur Anglikanischen Kirche gehört, die Schüler werden dort in den Bereichen Hotellerie und IT ausgebildet. Auch in einem kleinen Gästehaus, das zum Zentrum gehört, hilft Machmer, er checkt Gäste ein, wickelt Buchungen ab und putzt die Zimmer. Und an zwei Nachmittagen hilft er bei einer Tagesbetreuung, wo Kindergartenkinder und Grundschüler einer Anglikanischen Schule betreut werden. Dort isst er auch zu Mittag.

Zuhause in Ditzingen ist Machmer in der Kirche engagiert, er leitet in der katholischen Kirchengemeinde Sankt Maria unter anderem eine Jugendgruppe. Es ist nicht sein einziges Engagement: In der Lebenshilfe in Leonberg hilft er bei Freizeiten und Tagesbetreuungen.

Vier Monate ist der 19-Jährige mittlerweile in Ramallah. Nachdem er anfangs, wie er in einem Rundbrief an seine Kirchengemeinde schreibt, vor allem mit sich selbst beschäftigt war und nicht viel herauskam, ist mittlerweile wieder mehr Struktur in seinem Alltag. Machmer, der sonst beim TSF Ditzingen kickt, spielt in Ramallah bei einem Zweitligaverein mit – was aber, fügt er an, nicht zu vergleichen sei mit der hiesigen zweiten Liga. Er darf zwar nicht bei Spielen mitmachen, sondern nur im Training, weil er kein Palästinenser ist, aber es ist doch eine Möglichkeit, Sport zu treiben: „Ohne Fußball würde mir etwas fehlen.“ Auch einer Jogginggruppe, die sich Right to Movement nennt, hat sich der 19-Jährige angeschlossen.

Deutschland fühlt sich näher an als Jerusalem

Schon vor seinem Aufenthalt hat er Arabisch gelernt – allerdings Hocharabisch, womit er in Ramallah nicht weit kommt. Deshalb besucht er hier auch einen Sprachkurs – und bekommt Nachhilfe von Kindern in der Tagesbetreuung, die mit ihm „Schule“ spielen. Machmer ist stolz, dass er sich schon verständigen kann, wenn auch noch etwas holprig. Über den Fußball, den Sport und die Kirche hat der junge Mann Freunde gefunden.

Vom Konflikt, über den er mehr erfahren wollte, bekommt Ludwig Machmer im Alltag wenig mit. Die Grenzmauer, die Israel in das palästinensische Gebiet gesetzt hat, aber ist nicht zu übersehen, Machmer nennt sie ein „Monstrum“. Und wenn er Ramallah verlässt, dann wird der Konflikt sichtbarer. Machmer berichtet von den israelischen Behörden, die darüber entscheiden, wer raus darf und wer nicht. Ihm ist es unangenehm, palästinensischen Freunden von Ausflügen nach Israel zu erzählen, weil fast niemand von ihnen eine Genehmigung zur Ausreise hätte. Machmer erzählt von dem palästinensischen Freund, für den Deutschland gefühlt näher ist als Israel – dort war er im Sommer, in Jerusalem zuletzt vor 15 Jahren. Von Messerstechereien oder Schießereien erfährt Machmer meist nur dann, wenn sie zur Folge haben, dass ein Checkpoint geschlossen wird und das zu einem Verkehrschaos mit langen Staus führt. Thema bei Gesprächen mit den Kollegen ist der Konflikt nicht, ebenso wenig die Attentate: „Man redet nicht groß darüber, da es so oft passiert.“ Und doch: „Man lässt sich nicht anmerken, dass die Situation sehr schwer ist, und kann auch sehr viel Spaß haben, doch beeinträchtigt durch die Besetzer fühlen sich alle.“ Machmer bekommt auch etwas mit vom Siedlungsbau der Israelis, der längst gestoppt worden sein sollte, und der doch weitergeht.

Überall gibt es Kaffee und Tee

Die Palästinenser, die Machmer kennenlernt, empfindet er als sehr gastfreundlich. Wenn man jemanden um Hilfe bitte, werde einem sofort geholfen, berichtet der 19-Jährige, und überall gebe es Kaffee und Tee. Deutschland – insbesondere das Hochschulsystem und die Kanzlerin Angela Merkel – seien in Palästina „sehr anerkannt“, erzählt Machmer. Viele wollten dorthin – und Palästina den Rücken kehren, weil die Zukunftsaussichten für junge Menschen dort alles andere als rosig sind. Dabei, sagt Machmer, „lieben die Palästinenser ihr Land“.

An Weihnachten ist Ludwig Machmers Familie zu Besuch, geplant ist eine Rundreise durch das Heilige Land und nach Jordanien. Auch Ramallah ist als christliche Stadt gegründet worden, auch wenn es heute überwiegend muslimisch ist. Aber auch hier wird Weihnachten gefeiert – mit „kitschiger Weihnachtsbeleuchtung, Weihnachtsbasaren und einem Adventsprogramm“.