Kurz vor dem Start des Ditzinger Lebenslaufs erklärt der Heidelberger Mediziner Olaf Sommerburg das Neugeborenen-Screening zur Erkennung von Mukoviszidose. Je früher die Therapie einsetzt, desto besser sind die Behandlungschancen.

Ditzingen - Mit Hilfe eines kleinen Tropfen Bluts werden seit dem Jahr 2016 alle Neugeborenen – die Einwilligung der Eltern vorausgesetzt – auf Mukoviszidose getestet. Dabei wird das Blut der wenige Stunden alten Babys auf Parameter geprüft, die im Vergleich stark erhöht sind. „Bei Mukoviszidose ist es wichtig, früh mit einer Therapie zu beginnen, weil viele der Veränderungen früh einsetzten“, sagt Olaf Sommerburg, Leiter des Mukoviszidose-Zentrums an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Heidelberg. Er hat den Test, der heute routinemäßig in den Geburtskliniken und Kinderarztpraxen durchgeführt wird, für Deutschland mitentwickelt.

 

Recht hohe Fehlerquote

Das Blut, das auf Filterpapier getropft wird, wird dabei auf das Vorhandensein bestimmter Eiweiße, auf immunreaktives Trypsin (IRT) und auf das Pankreatitis- assoziierte Protein (PAP) untersucht. Sind die Werte stark erhöht und wird mindestens eine Genveränderung gefunden, gilt der Befund als auffällig. In diesem Fall ist ein weiterer Test, in der Regel ein Schweißtest, nötig, heißt es in dem Informationsschreiben des Gemeinsamen Bundesausschusses, das den frisch gebackenen Eltern im Krankenhaus vorgelegt wird. Dabei ist die Fehlerquote jedoch recht hoch: Nur bei etwa einem von fünf auffälligen Screening-Befunden bestätige sich die Diagnose Mukoviszidose, heißt es darin weiter.

Eigentlich gebe es seit über 30 Jahren die Möglichkeit, Neugeborene und Kinder auf die Stoffwechselerkrankung zu testen. Doch bis vor fünf Jahren scheiterte der Test in Deutschland an Diskussionen über die Auslegung des strengen deutschen Genmutationsgesetzes, sagt Sommerburg. Einen Gentest im Rahmen des Neugeborenen-Screenings durchzuführen, sei damals sehr kritisch gesehen worden. Das Paradoxe: der heutige, dreistufige Screening-Test besteht nun doch auch aus einem Gentest. Acht Jahre hat es gedauert bis die Idee, die Sommerburg aus Frankreich adaptiert hat, in Deutschland als gängige Methode angenommen wurde. Derzeit evaluiert Sommerburg in einem Team das System erneut, darauf bedacht, dieses weiter zu verbessern.

Bevor das mittlerweile routinemäßige Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose in Deutschland eingeführt wurde, habe man Kinder nur bei klinischen Symptomen getestet, erinnert sich Sommerburg. Wenn die Babys etwa nicht zugenommen und sehr dünnen Stuhl hatten. Dann habe der Arzt einen Schweißtest gemacht, bei dem die Chloridkonzentration im Schweiß gemessen wird. Nach Auffälligkeit des Schweißtests werde in jedem Fall ein Gentest veranlasst. Bei über 2000 bekannten Mutationen des Gens, das bei Mukoviszidosepatienten verändert ist, können aber auch solche gefunden werden, die nicht unbedingt bedeuten, dass das Kind eine Mukoviszidose im klassischen Sinne entwickle, sagt Sommerburg.

Recht auf Nicht-Wissen

Damit würden den Eltern möglicherweise umsonst Sorgen gemacht. „Manchmal ist es eben nicht gut, jemandem zu sagen, dass er eine Mutation hat“, sagt Sommerburg. Und in Deutschland hätten Eltern streng nach dem Genmutationsgesetz eben nicht das Recht auf dieses Wissen. „Das Recht auf Nicht-Wissen schlägt das Recht auf Wissen“, sagt der Mediziner.

Wie heterogen der Umgang mit dem Testverfahren ist und dass es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, zeigt der Ländervergleich: In den USA und in Frankreich werden Neugeborene seit über 25 Jahren routinemäßig getestet, dort arbeite man mit einem Gentest, sagt Sommerburg. In Schweden und Belgien hingegen gehört der Test auf die Stoffwechselkrankheit bis heute nicht zum Neugeborenen-Screening. In Frankreich hatte man jedoch schon darüber nachgedacht, das System zu ändern, weil es auch bei den genetischen Tests Fehldiagnosen geben kann, die Eltern unnötigerweise verunsichere, sagt der Experte. In Deutschland dürfen derzeit nur Ärzte über den Test aufklären. Daher gebe es bei Geburten ohne Arzt, also etwa zu Hause oder in einem Geburtshaus, kein Mukoviszidose-Screening. Dieses könne aber beim Kinderarzt nachgeholt werden, sagt Sommerburg.

Bei einem Verdacht auf Mukoviszidose, wenn etwa ein Elternteil oder Geschwisterkind erkrankt ist, gibt es auch die Möglichkeit, bereits während der Schwangerschaft eine Fruchtwasseruntersuchung zu machen. Damit könne möglichst bald nach der Geburt mit einer Therapie begonnen werden, sagt der Kinderarzt. Allerdings berge die Untersuchung während der Schwangerschaft Risiken, von einer Früh- bis hin zur Fehlgeburt.

Und auch wenn das System an manchen Stellen noch verbessert werden könne: „Wir haben in Deutschland ein Screening bei Neugeborenen und dieses funktioniert“ sagt Sommerburg. Davor seien die meisten Kinder zwar innerhalb des ersten Lebensjahres diagnostiziert worden. Für viele sei dies jedoch zu spät gewesen, weil man mit der Therapie bereits ab Tag eins anfangen müsse. „Das ist heute noch wichtiger als früher“, sagt der Kinderarzt mit Verweis auf die Fortschritte in der Medizin.