Silvia Kunz ist Mutter von drei Kindern. Die Zwillinge Lenny und Marvin haben Mukoviszidose. Dass etwas nicht stimmt, wusste sie schon in der Schwangerschaft.

Ditzingen - Lenny und Marvin sind heute zehn Jahre alt. Der eine liebt Fußball, der andere Selbstverteidigung. Sie hätten sich „super entwickelt“, seien quietschfidel, berichtet ihre Mutter Silvia Kunz. Die beiden Jungen aus Donaueschingen eint aber nicht nur ihre Leidenschaft für Sport. Die eineiigen Zwillinge leiden an der angeborenen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose – oder auch zystische Fibrose, kurz: CF.

 

Eine Genmutation führt zu einem Defekt in der Zelloberfläche. Es entsteht zäher Schleim, der lebenswichtige Organe verstopft. Vor allem die Lunge, die Bauchspeicheldrüse, die Galle, die Leber und auch den Darm. Dass etwas nicht stimmt, habe sie bereits in der Schwangerschaft erfahren, sagt Silvia Kunz. Die Zeit bis ein Jahr nach der Geburt war dramatischer als all die Zeit danach.

Fruchtwasseruntersuchung bringt Gewissheit

Zunächst bestand der Verdacht auf das Downsyndrom (Trisomie 21). Eine Fruchtwasseruntersuchung, die Silvia Kunz erst nicht wollte, brachte schließlich die Gewissheit. „Für meinen Mann und mich war immer klar, dass wir die Kinder so oder so wollen“, sagt die 45-Jährige. Gleichwohl habe sie durch das Ergebnis die Möglichkeit gehabt, sich mit dem Kommenden auseinanderzusetzen, sich darauf einzustellen. Mit der Option auf Trisomie 21 sei sie erleichtert gewesen, dass die Diagnose Mukoviszidose lautete, sagt Silvia Kunz – weil ihre Kinder damit selbstständig leben könnten. „Das machte es etwas leichter“, erinnert sich Silvia Kunz – aber freilich nur bedingt.

Auf den ersten Schock kam bald der nächste, viel schlimmere: Silvia Kunz erfuhr im sechsten Monat, dass die Zwillinge einen Darmverschluss hätten. Unbehandelt endet er tödlich. Laut der Ärzte würden die Babys noch im Mutterleib sterben. Für die werdenden Eltern der blanke Horror. „Man funktioniert nur noch.“ Das Paar hörte sich in der Freiburger Klinik eine zweite Meinung an. Dort beschlossen die Ärzte, die Zwillinge zu holen. In der 29. Schwangerschaftswoche. An einem Dienstag. Das Datum brannte sich in Silvia Kunz’ Kopf auch deshalb so ein, weil sie einen Tag zuvor heiratete.

Es ging um Leben und Tod

Die vorzeitige Entbindung hätte nicht warten dürfen: Bei einem Zwilling war bereits der Darm geplatzt. Er hätte keinen Tag länger überlebt. Lenny und Marvin, kaum 500 Gramm schwer, wurden sofort operiert. Zehn Wochen auf der Intensivstation folgten. Beide Jungen hatten später wieder Darmverschlüsse. Der eine mit neun Monaten, verbunden mit einem Wundinfekt, einer geplatzten Naht und Koma. Die Operation beim anderen Zwilling mit vier Jahren verlief reibungslos. Was bleibt, ist die permanente Angst vor weiteren Darmverschlüssen. Davor fürchtet sich Silvia Kunz am allermeisten. „Zu einem Darmverschluss kann es jederzeit kommen“, sagt sie. Die Verdauung der Jungen sei seit Beginn problematisch. Bauchweh, ein Symptom für einen Darmverschluss, werde sie ein Leben lang begleiten. Wie die ganze Mukoviszidose.

Auf die Erkrankung fokussiert sich die Familie so wenig wie möglich. Das liegt auch am dritten Kind, Jannis, acht Jahre alt, gesund. „Wir sind eine normale, chaotische Familie, die Spaß im Leben hat“, sagt Silvia Kunz. „Es war von Anfang an klar, dass wir die Jungs ihr Leben leben lassen.“ Lenny und Marvin durften schon immer mit Freunden und im Dreck spielen. Sie besuchten den Kindergarten und gehen wie Gleichaltrige zur Schule. „Wir leben im Hier und Jetzt unseren normalen Alltag. Die Jungen haben minimale Einschränkungen. Das kann sich aber jeden Tag ändern“, weiß Silvia Kunz. Die „hässliche“ Erkrankung Mukoviszidose sei nie vorbei und „hart für die Kids“.

Wenn die Kraft schneller schwindet

Zum Beispiel schwächt jeder Infekt die Lunge, die ohnehin immer schlechter funktioniert. Lenny und Marvin sind schneller als andere ausgepowert. Penible Hygiene zum Schutz vor Keimen ist deshalb nicht nur in Zeiten des Coronavirus extrem wichtig – ebenso eine gesunde Ernährung, Sport, um das Lungenvolumen zu erhalten, wöchentlich Physiotherapie sowie regelmäßige Inhalation und Medikamente. Ohne ihre Tabletten zu den Mahlzeiten bekommen Lenny und Marvin Darmprobleme. Jedes Vierteljahr werden sie gründlich untersucht.

Gerade beim Essen zeigt sich, dass sich die Krankheit nicht immer in den Hintergrund drängen lässt – und wie schwer es für Silvia Kunz manchmal ist, alle Kinder gleich zu behandeln, weil sich die Sorgen nun mal ein wenig mehr um die Zwillinge drehen. Dies sei ein sensibles Thema, sagt die 45-Jährige. Habt ihr eure Medikamente genommen?, fragt sie Lenny und Marvin häufig. Auch müssen sie trotz ihres geringen Hungers hochkalorisch essen, Jannis hingegen soll nicht dick werden. Er fühle sich dann teilweise ausgegrenzt, wenn die Brüder anderes Essen kriegen als er, sagt Silvia Kunz, deren Puls auch nicht gleich in die Höhe schießt, wenn Jannis mal keine Hände wäscht oder über Bauchweh klagt.

„Man ist nie allein“

Silvia Kunz war es stets wichtig, nach vorne zu blicken. „Ich wurde immer unterstützt und bin dankbar für die vielen Gespräche. Man ist nie allein“, stellt die 45-Jährige fest. Sie engagiert sich in der Mukoviszidose-Selbsthilfegruppe Schwarzwald-Baar-Heuberg und gründete 2012 – analog zum Ditzinger Lebenslauf – in Donaueschingen den Schutzengellauf zugunsten Muko-Patienten. Voriges Jahr erliefen fast 1500 Teilnehmer 30 000 Euro – ein Rekord. „Wir laufen dieses Jahr auch für Ditzingen“, sagt Silvia Kunz. Die Schutzengel legten bereits mehr als 87 Kilometer zurück. „Ich bin eine aktive Läuferin geworden“, so Kunz. Schließlich müsse sie ihren Kindern ein Vorbild sein.