Dirk Pfersdorf war DJ im Waldpeter. Die Disco hat viele junge Menschen in den 1980er und 1990er Jahren geprägt. Foto: Dirk Pfersdorf/KI/Midjourney/Montage: Ruckaberle
Viel Holz in der Hütte, viel Disco-Fox und die heißesten Scheiben: Fast 20 Jahre lang hat Dirk Pfersdorf im Waldpeter im Schwarzwald aufgelegt. Nun gibt es ein Revival.
Der Konferenzsaal im Schonacher Kurhaus sieht aus wie eine Mischung aus Western-Saloon und Schwarzwälder Kuhstall. Die Tanzfläche ist mit einem Holzgatter eingehegt. Dazwischen liegen Dielen, auf denen geschwoft werden kann. An der Decke dreht sich eine dicke Discokugel, eine Lichtorgel blitzt. Jetzt schiebt Dirk Pfersdorf den Regler nach oben. Zum Einstieg in den Abend spielt er „Garden Party“ der isländischen Formation Mezzoforte. Der Instrumentalsong mit dem einprägsamen Saxofonintro läuft im Radio, wenn die Gewinnzahlen des Wochenendes präsentiert werden. Vor 40 Jahren war er für DJ Dirk der Einstieg in einen heißen Discoabend im Waldpeter. Klar, dass er ihn wieder auflegt.
Die legendäre Musikkneipe, beheimatet in einem vormaligen Rot-Kreuz-Heim an der B 500 im Dreieck zwischen Schönwald, Schonach und Triberg, war in den 1980er Jahren die größte Landdisco in Südwestdeutschland. Bis zu 1000 Besucher fanden auf den unterschiedlichen Ebenen Platz. Jetzt ist die legendäre Disco als „Waldpeterle“ auferstanden. Die lange Bar, die schweren Hocker, die roten Stofflampen über den Tischen, die hölzerne DJ-Kanzel – alles, was die Jahrzehnte überdauert hat, haben Ehrenamtliche aus dem leer stehenden Gebäude getragen und liebevoll restauriert. Jetzt gibt es bis zum Jahresende im vertrauten Ambiente Revivalpartys. Schonach und Schönwald feiern gleichzeitig 750-jähriges Bestehen. Der Waldpeter ist ein Ort, der unstrittig zum gemeinsamen Erbe gehört. Viele, die in den 1980er und 1990er Jahren jung waren, hat er geprägt. Für Pfersdorf, den DJ im Waldpeter, gilt das besonders.
Vom Bäckerlehrling zum DJ
Die Mädchen kamen zum Tanzen, die Jungs wegen der Mädchen. Pfersdorf kam wegen der Musik. Heute ist er 63, damals war er 16 Jahre alt und Bäckerlehrling. Der Sohn vom Chef nahm ihn auf dem Moped mit. Vom Wohnort Königsfeld geht es ins Gasthaus Engel im benachbarten Neuhausen, wo der Wirt seinen Festsaal umfunktioniert hat.
„Ich stand immer bei den DJs“, sagt Pfersdorf. Damals war es üblich, den Abend in Tanzrunden einzuteilen. Der DJ spielte einige Titel, dann kam eine Pause – und für Pfersdorf die Gelegenheit zum Quengeln. Ob er auch einmal auflegen dürfe? „Irgendwann sagte einer: Warum nicht?“
Es ist der Karrierestart. Bald darf Pfersdorf in einer kleinen Disco in Villingen auflegen. Aus der Bäckerlehre wird ohnehin nichts: Mehlstauballergie. Dass anschließend auch die Umschulung zum Fernmeldetechniker scheitert, daran ist aber schon die Disco schuld. Pfersdorf verschläft. Beim zweiten Mal heißt es, er brauche gar nicht mehr wieder kommen. Noch heute ist Pfersdorf ein ausgesprochener Spätaufsteher.
Nena ist schwierig, Purple Schulz ist nett
Seine Eltern nehmen das Umsatteln aufs unstete DJ-Dasein mit erstaunlicher Gelassenheit. „Mein Vater hat bei Saba den Werksfunk gemacht und auch bei Festen aufgelegt.“ Das DJ-Gen liegt in der Familie. Und immerhin ergattert der Sohn eine Festanstellung. Als der Waldpeter im Jahr 1980 öffnet, gehört er zur Stammbelegschaft mit 1200 Mark Festgehalt und Sozialversicherung. Nicht alles wird sauber abgerechnet. Für die Rente ist das nicht so gut, doch wer denkt da schon dran, wenn er jung ist.
Zur Eröffnung holt Pfersdorfs Chef eine junge und unbekannte Rock’n’Roll-Band aus Bayern mit Namen Spider Murphy Gang. Auch Steppenwolf und Karat geben später Gastspiele. Von Purple Schulz besitzt Pfersdorf noch heute eine Single mit Widmung: „Für Dirk mit tausend Tulpen“. Weniger gute Erinnerungen verbindet er mit einer anderen, später weltbekannten Sängerin: Nena steigt mit ihrer damaligen Band „Stripes“ im Schwarzwald ab. Als bei ihrem Konzert nicht so recht Stimmung aufkommen will, beschimpft sie das Publikum.
Die Musikkneipe war einst die größte Landdisco in Südwestdeutschland. Foto: privat
Vielleicht hat er auch deshalb Nena-Songs nie so gerne aufgelegt. Ansonsten kann er spielen, was ihm gefällt. Es ist die große Zeit des Discofox. „Earth, Wind and Fire“, „Madness“ und die „Pet Shop Boys“ drehen sich auf den Plattentellern. Einmal wagt er ein Experiment, spielt die Playlist des Vorabends exakt in der umgekehrten Reihenfolge. „Es war ein Desaster.“ Man muss die Stimmung aufbauen: Schmusesongs, Rockigeres. Dann kann er auch mal in die deutsche Kiste greifen. Alles grölt mit, wenn Pfersdorf bei „Marmor, Stein und Eisen bricht“ den Lautstärkeregler nach unten zieht.
Musik-Nachschub gibt’s im Müller-Markt
Dienstags schaut er im Schonacher Plattenladen vorbei, hört die Neuerscheinungen durch. Später muss er dafür in den Drogeriemarkt Müller nach Villingen fahren. Die Rechnung zahlt der Chef. Was andere Clubs spielen, bekommt er nicht mit. Täglich ist er im Waldpeter. Aber die Plattenindustrie schickt CDs zur Bemusterung. Einmal zieht er „Children“ von Robert Miles aus einem der Pakete. „Ich habe mir den Song angehört und wusste sofort: das wird ein neuer Nummer-Eins-Hit.“ Am nächsten Abend habe er den Song ausprobiert. „Das war der Hammer.“
Ende der 1990er Jahre geht die große Zeit der Discotheken zu Ende. Der Waldpeter schließt. Pfersdorf ist Ende 30 und braucht einen Job. Wieder geht er in den Müller-Markt, diesmal nicht als Kunde, sondern als Verkäufer in der Multimedia-Abteilung. Später schafft er bei einer Kunststoffspritzerei. Dann trifft er einen alten DJ-Kollegen. Der ist Lokführer bei der Hohenzollerschen Landesbahn. „Wäre das nicht auch was für dich?“
Wenn Pfersdorf im Führerhaus steht, darf er keine Musik hören. Doch im Herzen ist er DJ geblieben. Selbst seine Email-Adresse lautet auf DJ Dirk. Neulich hat er eine Sendung in SWR 1 bestücken dürfen. Mit Moderator Corvin Tondera-Klein plauderte er über alte Discozeiten. Und jetzt sitzt er im Schonacher Kurhaus in seiner alten DJ-Kanzel und soll den Gästen der ersten Revivalparty einheizen. Nur die Stimmung will nicht richtig aufkommen.
Fast acht Minuten lang Phil Collins
Früher saß DJ Dirk vor zwei Dual-Plattenspielern. Das war üblich im Schwarzwald, ehe auch dort die Technics-Geräte Einzug hielten. Heute hat er ein Laptop dabei. Er spielt Kool & the Gang, Hot Chocolate und Men at Work, Alphaville, Cameo und Rick Astley. Außerdem 7:51 Minuten „In the Air Tonight“ von Phil Collins. „Eigentlich habe ich es gemacht wie immer.“ Sechs Stunden, hundert Titel. Doch am Ende erreichen ihn Beschwerden – und der DJ ist geknickt.
Bei den weiteren geplanten Revivalpartys im Waldpeterle wird der einstige Waldpeter-DJ pausieren. Das steht fest. Doch wenn im Freundes- oder Familienkreis mal wieder ein Fest ansteht, dann wird er sich wohl wieder breitschlagen lassen. Einmal DJ, immer DJ. Erst neulich habe er bei einer Nichte seiner Frau zur Hochzeit aufgelegt. „Da kam das wunderbar an.“ Bis tief in die Nacht wurde getanzt – wie einst in der großen Discozeit.
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