Die Polizei vermutet die Mörder von Maria Bögerl in der 8000-Einwohner-Gemeinde Neresheim nahe Heidenheim. Dort hat eine groß angelegte DNA-Reihenuntersuchung begonnen - doch die Einheimischen sind skeptisch.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Heidenheim/Neresheim - Die erste Regel für die Schüler der Klasse 4 b der Neresheimer Härtsfeldschule lautet, nicht zu spät zu kommen. So steht es auf einem Wandplakat im Klassenzimmer zu lesen. Die Schule ist für diese Woche aus, unter einer Collage selbst gemalter bunter Bilder von einem Waldausflug haben jetzt Polizisten Platz genommen, neben sich Einweghandschuhe und Laborbesteck zur Entnahme von Speichelproben. Ihre Hoffnung ist es, dass hier bald jener Mann auftaucht, dessen DNA in der A-Klasse der am 12. Mai 2010 entführten und ermordeten Heidenheimer Bankiersehefrau sichergestellt wurde.

 

Bis Sonntag dauert der Massengentest zur Aufspürung der Mörder von Maria Bögerl. Die Ermittler verfolgen weiter fest die Theorie von mindestens zwei Beteiligten. Sämtliche Männer zwischen 21 und 68 Jahren, insgesamt 3000 Personen, sind aufgerufen, sich dem Test zu stellen. Für den Leiter der Sonderkommission Flagge, Volker Zaiß, handelt es sich um ein wichtiges Fahndungsinstrument – neben anderen Spuren, die abgearbeitet würden. Armin Burger, Pressestaatsanwalt aus Ellwangen, spricht vom „richtigen Moment“, der jetzt für den DNA-Massentest gekommen sei. Zuvor sei anderes wichtiger gewesen.

Draußen vor der Tür der Neresheimer Grund- und Realschule glauben das längst nicht alle. „Das ist der letzte Strohhalm, der gezogen wird“, sagt ein älterer Herr, ein anderer Neresheimer im Rentenalter setzt noch eins drauf: „Gefühlsmäßig würde ich sagen, das ist die nächste Panne.“ Er bezieht sich auf jenen falschen Zeugen, der die Sonderkommission über Monate mit erfundenen Geschichten über eine rumänische Tätergruppe in der Spielhallenszene an der Nase herumgeführt hatte.

Die Männer kommen zur Entnahme, aber sie kommen ungern

Die Männer werden immer mehr an diesem Nachmittag, aber viele kommen ungern. „Ich weiß hundertprozentig, dass ich’s nicht war“, sagt einer mit bitterem Lächeln. „Da werden 3000 Leute unter Generalverdacht gestellt“, grollt er. „Das kostet ein Heidengeld“. 60 000 Euro, um genau zu sein. So beziffert die Staatsanwaltschaft die Kosten des Tests, dessen Zustandekommen nach annähernd vier Jahren vergeblicher Mörderjagd Fragen aufwirft.

Warum nur die Neresheimer Männer? Sokochef Zaiß begründet vor einem Journalistenpulk, die schwarze A-Klasse Maria Bögerls sei am Entführungstag 2010 von mehreren Zeugen auf der Autobahn 7 gesehen worden, vor allem aber gebe es glaubhafte Berichte, wonach der Wagen vor der Entführung längere Zeit in einem Wohngebiet am Rand der Kleinstadt geparkt gesehen worden sei.

Gefunden hatte die Polizei den Mercedes nach der Bluttat im Innenhof des Klosters Neresheim. Dort muss das Fluchtfahrzeug gewechselt worden sein. Der Innenhof ist kein beschilderter öffentlicher Parkplatz, den Weg durch einen Torbogen nimmt fährt nur, wer sich auskennt.

Gut möglich, dass die Polizei den Massengentest noch weiter ausgedehnt hätte, auf weitere Ortschaften auf dem Härtsfeld in Ostwürttemberg. Was Chefermittler Zaiß sagt, lässt so etwas jedenfalls vermuten. „Wir mussten es auf einen geografischen Bereich konzentrieren“, sagt der Sokochef. Er meint damit den Beschluss des Amtsgerichts Ellwangen, der vom Oktober 2013 datiert. Mehr Männer aus weiteren Gemeinden einer DNA-Untersuchung zu unterziehen, dafür reichte die Spurenlage offenbar nicht.

Laut dem Bürgermeister hofft der ganze Ort auf Aufklärung

Der Bürgermeister von Neresheim, Gerd Dannemann, spricht von der Hoffnung des ganzen Ortes, dass die schreckliche Bluttat doch noch aufgeklärt wird. Immer in den vergangenen vier Jahren, wenn es zu einem Einbruch gekommen sei, seien böse Ahnungen hochgekommen, verborgene Ängste. In der ersten Zeit nach der Tat hätten gerade Frauen Unbehagen gezeigt, aber das habe sich langsam gelegt.

Die Vorbehalte, die jetzt am häufigsten an ihn herangetragen wurden, sagt der Bürgermeister, hätten damit zu tun, wie wohl mit den erhobenen DNA-Daten umgegangen werde. „Werden die Daten wirklich gelöscht?“ fragten ihn die Leute im Ort, so Dannenmann. Die Staatsanwaltschaft Ellwangen verspricht absolute Rechtskonformität, sie sagt, dass die DNA-Profile ganz nach dem Gesetz nur so lange gespeichert würden, bis die Maßnahme beendet sei. Niemandes Genmuster werde in eine Datenbank gegeben. Bevor die Umtriebe der NSA in Deutschland bekannt wurden, hätten wohl mehr Neresheimer dem Staatsanwalt Burger geglaubt.

Beim Anstehen schießen die Spekulationen ins Kraut

Wahrend sich die Menschenschlange vor der Schule langsam weiterschiebt, blühen die Mutmaßungen und Spekulationen. Niemals sei der Täter ein Neresheimer gewesen, sagt einer mit patriotischem Tonfall. Und die Rede kommt wieder auf den früheren Heidenheimer Kreissparkassenchef Thomas Bögerl, der sich nach monatelanger Fahndung, nachdem er seinen Vorstandsposten verloren hatte und in psychiatrischer Behandlung gewesen war, tragischerweise selbst tötete.

Mehrere Wochen werde die Auswertung der Speichelproben nun dauern, heißt es seitens der Ermittler. Niemand kann gezwungen werden, mit der Polizei zu kooperieren, aber wer sich nicht dem Test stelle, sagt Volker Zaiß, werde „einen Brief von uns bekommen und wir werden nochmals auf diese Personen zugehen“. Nachzügler wird es ohnehin geben – Berufspendler, Urlauber, Männer, die aus Neresheim weggezogen sind seit Mai 2012. Es sei jetzt gerade „Fasching auf dem Härtsfeld“, gibt der Staatsanwalt Burger zu bedenken.

Auch in Neresheim hängen schon bunte Wimpel. Plakate werben für den bevorstehenden Nachthemdumzug. Auf den folgt traditionell das „Hexengericht“.

Überblick über die Ereignisse im Heidenheimer Mordfall

Was bisher geschah im Mordfall Bögerl:

Bringt ein Massengentest die Ermittler im Mordfall Bögerl zu den Tätern? Nachfolgend ein Überblick über die Ereignisse:

Tat
Im Mai 2010 wird Maria Bögerl in Heidenheim (Alb-Donau-Kreis) verschleppt. Die Entführer melden sich am Telefon bei Thomas Bögerl, dem Ehemann und damaligen Chef der Heidenheimer Sparkasse und fordern 300 000 Euro. Eine Lösegeldübergabe scheitert. Zwei Tage später wird das Auto von Maria Bögerl im rund 15 Kilometer entfernten Neresheim gefunden. Wochen später wird die Leiche der Bankiersgattin in einem nahen Waldstück gefunden. Die Täter sind auch mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Verbrechen auf freiem Fuß.

Spuren
Spuren haben die Ermittler zwar viele, doch die entscheidende scheint bisher noch nicht dabei gewesen zu sein. Dabei schienen die Ermittler im Frühjahr 2013 zunächst vielversprechende Spuren zu haben. Ins Visier geraten war die Spielhallenszene Raum Neresheim, Giengen an der Brenz und Dillingen an der Donau. Die Ortschaften liegen zwischen fünf und 20 Kilometern Luftlinie vom ehemaligen Wohnort der Bögerls entfernt. Plötzlich war auch die Rede von mehreren Tätern.

Neresheim
Die 8000-Einwohner-Gemeinde ist immer weiter in den Fokus von Polizei und Staatsanwaltschaft gerückt. Ob die Ermittler die Täter tatsächlich in der Ortschaft auf der Schwäbischen Alb vermuten, ist unklar. Die Polizei sagt, der Massengentest diene zur Aufklärung von DNA-Spuren, welche bisher nicht zugeordnet werden konnten. Sie müssten nicht zwingend vom Täter stammen.

Gentest
Mehrfach war im Laufe der Ermittlungen ein Massengentest in Erwägung gezogen worden. Bis zuletzt hat dem aber kein Richter zustimmen wollen. Anfang dieses Jahres hat das Amtsgericht Ellwangen dann doch grünes Licht für das Vorhaben gegeben. Offenbar war es den Ermittlern gelungen, die Schlinge um die für den Mord infrage kommenden Männer weiter zuzuziehen. Rund 3000 Männer haben seit Juni 2010 bereits freiwillig Speichelproben abgegeben.

Fernsehen
Kurz nachdem Bögerl entführt wurde, richtete die Familie in der ZDF-Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“einen verzweifelten Hilferuf an die Entführer. Vergeblich. Ein Jahr später erhängt sich Thomas Bögerl. Die beiden Kinder kritisierten daraufhin öffentlich die Polizei. Im September 2012 sendet das ZDF erneut einen Beitrag zum Mordfall. Daraufhin sorgte ein Mann für Schlagzeilen, der die Polizei monatelang mit falschen hinweisen in die Irre geführt hatte. Mit zwei verschiedenen Identitäten hatte sich der Mann immer wieder an die Soko gewandt, die Fahnder mit angeblichen Spuren in dem Fall versorgt und dafür mehrere tausend Euro Belohnung kassiert. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt