Schon wieder gibt es neue Funde antisemitischer Bilder auf der Documenta fifteen in Kassel. Warum der neue Antisemitismus-Fall auf der Kunstschau deutlich macht, dass sich die Probleme nicht lösen lassen.
Wieder neue Schlagzeilen und scharfe Worte. „Das Ausmaß an Inkompetenz, Überforderung und Verwirrtheit ist überwältigend“, schreibt die „FAZ“ über die Leitung der Documenta fifteen. Die „WELT“ erwartet von dem indonesischen Kollektiv ohnehin nichts anderes als „antisemitischen Mist“. Und wieder werden Rufe laut, die Weltkunstschau in Kassel zu schließen.
Stein des Anstoßes ist eine Broschüre von 1988
Anlass sind neue Funde antisemitischer Bilder auf der Documenta, die schon bei der Eröffnung im Juni scharf in die Kritik geraten war wegen eines antisemitischen Banners auf dem Friedrichsplatz. Diesmal handelt es sich nicht um ein Kunstwerk, sondern um Zeichnungen in einer Broschüre von 1988. Im Fridericianum stellen Aktivistinnen Archivmaterial aus, das sich mit dem Frauenkampf in Algerien befasst. In der Broschüre „Presence des Femmes“ finden sich Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly, der Soldaten mit Davidsternen auf Helmen zeigt, die Kinder bedrohen. Das, so der Vorwurf, spiele auf das tradierte Motiv Kinder mordender Juden an.
Die künstlerische Leitung wollte die Zeichnungen nicht kommentieren
Ruangrupa, die künstlerische Leitung, weiß bereits seit längerem von diesen Zeichnungen, weil eine Besucherin schon vor mehr als drei Wochen auf sie hingewiesen hatte. Sie wurden allerdings nur intern bewertet – ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Deshalb haben nun auch die Gesellschafter der Documenta in einem Statement Kritik geübt: „Es wurde versäumt, eine geeignete Kontextualisierung vorzunehmen und die Besucherin über das Ergebnis der Klärung zu informieren.“
Lumbung meint: voneinander lernen
Warum hat Ruangrupa das aber nicht getan? Das hat mit dem Konzept dieser Documenta zu tun. Denn das offiziell eingesetzte Kuratoren-Kollektiv hat die künstlerische Verantwortung weitergereicht und andere Kollektive aus verschiedensten Ländern eingeladen, Orte in Kassel autonom zu bespielen. Das Schlagwort heißt Lumbung. Der indonesische Begriff für Reisscheune steht für das Teilen von Wissen, von Ressourcen und der Ernte.
Ruangrupa will sich nicht zwingen lassen, Macht auszuüben
Dieses Konzept der Gemeinsamkeit lässt sich aber nur schwer vereinbaren mit der öffentlichen Forderung, Verantwortung zu übernehmen und zu reagieren. Einerlei, ob Ruangrupa die Broschüre entfernt oder einen Kommentar gefordert hätte, es wäre aus ihrer Sicht ein massiver Eingriff in die Tätigkeit der Aktivistinnen, deren Archiv man doch dezidiert nach Kassel eingeladen hat. Dass in der öffentlichen Debatte immer wieder der Vorwurf laut wurde, Ruangrupa sei säumig oder ignorant, hat also damit zu tun, dass sich das indonesische Kuratoren-Team nicht als Entscheider sieht, der eigenmächtig in Prozesse eingreift – und sich auch nicht durch den öffentlichen Druck in diese Rolle drängen lassen will. Deshalb lehnt Ruangrupa auch eine umfassende Begutachtung der Ausstellung ab.
Schlagzeilen werden nicht abreißen
Diese konsequente Verweigerung befeuert die Debatte allerdings umso stärker. Hätte sich Ruangrupa von Beginn an auf die Seite der Kritiker geschlagen – und sich aus ihrer Sicht gegen ihre eigenen Gäste gestellt, wäre ihre Documenta fifteen vermutlich schneller aus den Schlagzeilen gekommen. So reißen die Rufe nach Konsequenzen nicht ab, selbst wenn der Vertrag der Documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann inzwischen einvernehmlich aufgelöst wurde.
Auch der Neue ist schon in die Kritik geraten
Nun soll Alexander Farenholtz die Wogen glätten. Er wurde kurzfristig als Interimsgeschäftsführer eingesetzt, aber ist ebenfalls schon in die Kritik geraten, weil auch er eine Überprüfung der Kunstwerke kategorisch ablehnt. Gegenüber Medienvertretern sagte er, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „dass durch die fachwissenschaftliche Begleitung eine Kontrollinstanz eingeführt wird.“ Farenholtz hat am Wochenende in einem Gespräch mit der FAZ betont, die Broschüre mit den Zeichnungen werde nicht entfernt.
Documenta schließen oder von ihr lernen?
Die Wogen werden sich also nicht so bald glätten und die Fronten weiterhin bestehen bleiben. Die FDP ist überzeugt, dass die Kunstschau in Kassel „ausgesetzt“ werden müsse. Der Zentralrat der Juden hält es für „kaum mehr vorstellbar“, dass sie noch bis Ende September läuft. Der Fachverband für Kunstpädagogik VBK Berlin widerspricht dagegen Forderungen, die Documenta fifteen zu schließen oder zu boykottieren. „Dafür stellt diese Ausstellung ebenso wie die durch sie hervorgerufene Krise zu wichtige und für eine zukunftsorientierte Kunstpädagogik entscheidende Lernmöglichkeiten bereit.“