Bei einer Debatte zur Documenta ist man sich einig, dass die Kunstfreiheit nicht beschnitten werden darf. Die Fronten bleiben trotzdem bestehen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Für Doron Kiesel lässt sich nichts entschuldigen. Das antisemitische Bild, das kurzzeitig bei der Documenta fifteen zu sehen war, ist aus seiner Sicht „ein Skandal“, der auf weit mehr als das Versagen der künstlerischen Leitung verweist. Dass in Deutschland „auf einmal Bilder erscheinen, über die sich Adolf Eichmann und Goebbels gefreut hätten“, sei eine „tiefe Vertrauenserschütterung“, wie hier mit der Geschichte umgegangen werde. Doron Kiesel hat den Zentralrat der Juden vertreten in einer Online-Diskussion, die kurzfristig am Mittwochabend angesetzt wurde. Die erste öffentliche Runde wurde von der Documenta gGmbH und der Bildungsstätte Anne Frank organisiert, dessen Direktor Meron Mendel damit eines erreichen will: das „gegenseitige verbale Aufrüsten“ zu beenden.

 

Erinnerungen nicht gegeneinander stellen

Auch wenn an den unterschiedlichen Positionen kein Zweifel bestand, kamen sie in der Runde wohltuend ruhig auf den Tisch: Kiesel kritisierte, dass postkolonialistische Diskurse per se antisemitisch seien. Das wies die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan als allzu pauschal zurück. Sie rät vielmehr, wachsam zu sein bei Versuchen, Antisemitismus und Rassismus gegeneinander auszuspielen. Adam Szymczyk, der die vergangene Documenta 14 geleitet hat, sprach vom „multidirektionalen Erinnern“ und appellierte daran, „nicht unterschiedliche Erinnerungen gegeneinander“ zu stellen, sondern die Documenta vielmehr als einen Ort zu nutzen, um eine Debatte über andere Erinnerung zu führen.

Aufsichtsrat hätte nichts verhindern können

Als „Eigentor erster Güte“ bezeichnete Hortensia Völckers die Tatsache, dass das Bild überhaupt aufgehängt wurde. Sie ist die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, die die Documenta mit 3,5 Millionen gefördert hat. Trotzdem erteilte Völckers der Vorstellung eine klare Absage, dass ein Aufsichtsrat solche Vorfälle hätte verhindern können. Stattdessen brach sie eine Lanze für die Autonomie der Institutionen und für gegenseitiges Vertrauen. „Wenn ich etwas fördere, gehe ich davon aus, dass die Leitung dieser Institution Verantwortung übernimmt.“ Bis auf Doron Kiesel vertrat das Podium einhellig die Meinung, dass die Kunstfreiheit nicht eingeschränkt werden sollte. „Wir haben alle Instrumente“, sagte denn auch Meron Mendel. In Kassel habe es sich um einen „Unfall“ gehandelt.