Der Druck auf das Kollektiv Ruangrupa, das die Documenta fifteen leitet, war zu groß. Jetzt ist es in die Knie gegangen – beim größten Eklat der Kasseler Weltschau.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Plötzlich ging alles sehr schnell, und es wurden in Kassel Fakten geschaffen: Die Banner-Installation „People’s Justice“ ist mit einem großen schwarzen Tuch verhüllt worden. Am Montag waren zahlreiche Forderungen laut geworden, dass das riesige Plakat auf dem Friedrichsplatz vor dem Kasseler Fridericianum verschwinden müsse wegen seiner antisemitischen Inhalte. Das Bild zeigt – wie berichtet – unter anderem einen Mann in Anzug mit spitzen Zähnen, Zigarre und Schläfenlocke – mit SS-Rune auf dem Hut. Außerdem ist ein Uniformierter mit Davidstern und Schweinsnase dargestellt, auf dessen Helm der Name des israelischen Geheimdienstes Mossad steht.

 

Die Presse hat das Werk nicht übersehen – es wurde später aufgehängt

In den vielen Artikeln, die am Wochenende über die Eröffnung der Documenta fifteen zu lesen waren, fand sich allerdings nicht ein Kommentar zu diesem Werk. Im Gegenteil wurde in den meisten Berichten konstatiert, dass es keine antisemitischen Arbeiten gebe, wie vorher immer wieder behauptet worden war. Die zahllosen Pressevertreter aus dem In- und Ausland haben das Banner auf dem Friedrichsplatz während der Preview-Tage aber nicht etwa übersehen, denn es wurde erst am Freitagnachmittag installiert, als die meisten Journalisten schon wieder auf der Heimreise waren.

Die AfD fordert, die Documenta zu schließen

So kam es nun erst nach der offiziellen Eröffnung zum Eklat. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die hessische Kunstministerin Angela Dorn kritisierten eine „antisemitische Bildsprache“ und forderten Konsequenzen. Die AfD im Landtag von Hessen verlangte sogar, die Documenta fifteen zu beenden. „Judenhass bei Documenta“ und „Kunst-Ausstellung der Schande“ schrieb die „Bild“-Zeitung.

Schon seit Anfang des Jahres wurde dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa immer wieder Antisemitismus vorgeworfen, weil es einerseits keine jüdisch-israelischen Künstler ausstellt, andererseits Taring Padi eingeladen hat, ein indonesisches Kollektiv von Underground-Künstlern. Sowohl Ruangrupa als auch Taring Padi haben sich immer wieder von solchen Anschuldigungen distanziert und antisemitische Ressentiments abgestritten. Dennoch sind die Vorwürfe nicht abgeebbt. Es wurden sogar die Arbeitsräume von Taring Padi verwüstet und Morddrohungen gegen die Künstler ausgesprochen.

Die Geschäftsführung sieht sich nicht in der Verantwortung

Nun haben sich die Künstler entschuldigt: „Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen.“ Sabine Schormann, die Generaldirektorin der Documenta, distanzierte sich in einer Mitteilung dagegen von jeder Verantwortung für den Vorfall: „Die Geschäftsführung der Documenta ist keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann, und darf das auch nicht sein.“

Die Künstler erkennen keinen Antisemitismus in dem Bild

Die Künstler selbst haben ausgeführt, dass das Banner aus ihrer Sicht keine antisemitischen Inhalte habe. „People’s Justice“ ist bereits im Jahr 2002 entstanden. Es sei Teil einer Kampagne gegen die Gewalt, „die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben, und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt“, schreibt die Gruppe in ihrer Stellungnahme. Die abgebildeten Figuren entsprächen einer in Indonesien verbreiteten Symbolik „für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren“, wie es heißt.

Politik fordert Grenzen der Kunstfreiheit

Das Banner wurde vor zwanzig Jahren auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt und anschließend in Asien mehrfach gezeigt. In Europa war es dagegen noch nicht zu sehen. Quer durch die Parteien wurden in den vergangenen Tagen Stimmen laut, dass es das auch in Kassel nicht dürfe. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte, dass hier „die Kunstfreiheit ihre Grenzen“ finde. „Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus, wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit“ seien die Grundlagen unseres Zusammenlebens, so Roth.

Das Bild „Guernica Gaza“ wird weiterhin ausgestellt

Auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte in seiner Rede zur Eröffnung der Documenta am vergangenen Samstag bereits betont, dass die Kunstfreiheit Grenzen habe, selbst wenn sie an sich ein wichtiger Pfeiler demokratischer Gesellschaften sei. „Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen.“ Kritik an israelischer Politik sei erlaubt, sagte Steinmeier. „Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten.“

Weiterhin zu sehen ist das ebenfalls kritisierte Bild „Guernica Gaza“ der palästinensischen Künstlergruppe The Question of Funding, die israelische Soldaten zeigt, die palästinensische Bauern angreifen – in Anlehnung an Pablo Picassos Bild „Guernica“.

Die Documenta fifteen ist bis 25. September täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.