Aus dem Nichts wurde Dörte Hansen zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der letzten Jahre. Doch das kam nicht von ungefähr.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Was Dörte Hansen gar nicht leiden kann, ist die Bezeichnung Bestsellerautorin. Weil darin sogleich das Gebiet aufgeteilt wird, in eine flache, weit ausgreifende Zone, in der sich die Vielen tummeln, von der sich das anspruchsvolle Hochland der Kenner und Liebhaber abhebt. Dörte Hansen lebt dort, wo der Horizont weit ist und die Berge fern. Von ihrem Büro im nordfriesischen Husum kann sie in den Garten des benachbarten Theodor-Storm-Hauses blicken. Doch mit ihren bisher zwei Romanen hat sie es geschafft, nicht nur zu einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen zu werden, sondern auch zu einer, deren Qualitäten mittlerweile selbst bei denen angekommen sind, die Erfolg und literarische Zugänglichkeit eher für ein Alarmsignal halten.

 

Das mag daran liegen, dass die 56-Jährige weiß, was sie tut. Als promovierte Soziolinguistin kennt sie die Wechselbeziehung von Sprache und Umgebung. Und als jemand, der auf dem Dorf aufgewachsen ist, kann sie zwischen modischer Landlust und der Wirklichkeit eines dem Wandel unterworfenen, gefährdeten Lebensraumes genau unterscheiden. Das wundersame Debüt „Altes Land“ und der im letzten Jahr erschienene Roman „Mittagsstunde“ erkunden das Hinterland der urbanen Zentren, jenseits biedermeierlicher Idylle und doch voller Zugewandtheit für eine verschwindende Welt.

Expertin für Nischensprachen

Dörte Hansens Vater war Landmaschinenschlosser. Die erste Fremdsprache, die sie lernte, war Hochdeutsch. In der Familie wurde Platt gesprochen. Sie war die Erste, die das Gymnasium besuchen durfte, was schließlich zu einem Studium geführt hat, in dessen Verlauf sie sich zu einer Expertin für Nischensprachen wie Gälisch, Friesisch entwickelte - und eben jener, mit der sie aufwuchs, und die auch ihre Roman-Figuren beherrschen. Um diese aber zum Sprechen zu bringen, kündigte Dörte Hansen ihre Redakteursstelle beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Dass aus diesem kühnen Entschluss ein Roman wie „Altes Land“ werden würde, der sich inzwischen millionenfach verkauft hat und den 2015 die unabhängigen Buchhandlungen aus dem Stand zum „Lieblingsbuch des Jahres“ wählten, lag nicht unbedingt in der Luft.

Zur plattdeutschen Gemütsart gehört, dass man auf den fulminanten Erfolg in ihrer Umgebung eher gefasst reagiert hat: „Mensch, fein löpt dat för di!“ Inzwischen wohnt Dörte Hansen wieder in der Nähe ihres Heimatortes, mit ihrem Mann, dem Dokumentarfilmer Sven Jaax, und der Tochter, die dasselbe Gymnasium besucht, auf das sie früher gegangen ist.

Vom Rand aus sieht man am Besten

Dass es für sie im Moment gut läuft, hat an der Bescheidenheit der Autorin nichts geändert. 2019 erfüllte sie sich einen Herzenswunsch, mit ihrer Lektorin reiste sie nach Klagenfurt, um sich das Wettlesen um den Bachmann-Preis anzusehen. Vier Tage lang hat sie sich der Jahrmarkt Eitelkeit ausgesetzt, neugierig und inspiriert von den literarischen Nischensprachen, die dort ihre Bühne finden. Alle Kandidaten zusammen werden in ihrem Leben wohl nicht so viele Bücher verkaufen, wie es Dörte Hansen mit ihren beiden Romanen vergönnt war. Doch sie hielt sich am Rand, aufmerksam und weitgehend unerkannt.

Der Rand steht auch im Zentrum ihrer Romane. Mutige Leute, die vor den Wirren des Krieges oder dem Snobismus der Großstadt fliehen, finden hier Zuflucht. Die Leser wissen zu schätzen, was von dort aus in den Blick rückt.