Die Dokumentation „Todschick – Die Schattenseite der Mode“ erzählt von den Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter in Bangladesch. Der Arte-Beitrag beleuchtet die Hintergründe in den Produktions - und den Konsumländern.

Stuttgart - Die Bilder wirken auf den ersten Blick, als stammten sie aus einem Kriegsgebiet: Menschen suchen verzweifelt in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes nach Gegenständen, die vielleicht noch erhalten geblieben sind. Man kennt so etwas aus den Nachrichten. Die Ruine, die die Zuschauer zu Beginn der Dokumentation „Todschick - Die Schattenseite“ zu sehen bekommen, ist aber nicht durch einen Bombenangriff entstanden. Auf diesem Areal in der bangladesischen Stadt Sabhar stand einst die Textilfabrik Rana Plaza. 1130 Menschen kamen hier im April 2013 ums Leben, als das achtstöckige Gebäude zusammenbrach. Einige Überlebende der Katastrophe graben heute noch in den Trümmern, um verwertbare Kleidungsstücke zu finden, hin und wieder stoßen sie dabei auf Produktionsanleitungen europäischer Billigketten.

 

Arte zeigt den Film von Inge Altemeier und Reinhard Hornung als Auftakt des Themenabends „Sterben für die Mode“. Ein Ausgangspunkt der beiden Hamburger Autoren ist die Frage, inwiefern sich die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie seit diesem verheerenden Unglück in der Rana-Plaza-Fabrik geändert haben.

Eine wichtige Figur in „Todschick“ ist die französische Rechtsanwältin Marie-Laure Guislain. Sie ist für Sherpa tätig, eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich für die Opfer von Wirtschaftskriminalität in Entwicklungsländern einsetzt. Guislain recherchiert in Bangladesch, um Material zu sammeln für ein Verfahren gegen die Fast-Fashion-Kette Auchan – eine der zahlreichen internationalen Modefirmen, die im Rana Plaza produzieren ließ. In Frankreich sind, anders in Deutschland, trügerische Werbeversprechen strafbar. Hält sich eine Firma nicht an ihren Verhaltenskodex – die Unternehmen der Modebranche versprechen in solchen Richtlinien generell viel, sagen Altemeier und Hornung – , kann sie zur Rechenschaft gezogen werden.

Gerd Müller will souverän wirken

Dass Deutschland und Frankreich mit Menschenrechtsverletzungen in der Textilindustrie unterschiedlich umgehen, ist eines der zentralen Themen in „Todschick“. Damit ist der Film ideal zugeschnitten auf das deutsch-französischen Gemeinschaftsprogramms Arte. Die französische Nationalversammlung hat in diesem Frühjahr ein Gesetz verabschiedet, das es möglich macht, einheimische Firmen für Missstände entlang der Produktions- und Lieferkette zur Verantwortung zu ziehen – so verwinkelt die Konstruktionen mit Sub-Sub-Unternehmern auch sein mögen. Altemeier hat für „Todschick“ ein Gespräch mit Gerd Müller geführt, dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zum Schluss fragt sie , warum Deutschland nicht so ein Gesetz einführt wie die Franzosen. „Ich danke Ihnen für das tolle Interview“, sagt der Minister daraufhin. Er versucht, souverän zu wirken.

Müller hat 2014 ein sogenanntes Textilbündnis initiiert, in dessen Rahmen sich deutsche Unternehmen unter anderem dazu verpflichten sollten, dass die Arbeiter in den Fabriken Südasiens existenzsichernde Löhne bekommen. Die maßgeblichen Firmen seien aber erst beigetreten, nachdem die Standards aufgeweicht worden seien, kritisieren die Autoren. „Müller ist umgekippt, nachdem die Textilindustrie Druck gemacht hat“, sagt Hornung.

Kinderarbeit und unbezahlte Überstunden

Kinderarbeit, keine schriftlichen Arbeitsverträge, mangelnder Gebäudeschutz, Feuerleitern, die im Nichts enden - das sind nur einige Beispiele für menschenunwürdige und lebensgefährliche Bedingungen, auf die die Autoren bei ihren intensiven Recherchen in den Fabriken von Bangladesch gestoßen sind. Eine Frau erzählt davon, sie müsse zehn Stunden ununterbrochen arbeiten, nicht einmal ein Glas Wasser dürfe sie trinken in der Zeit. Wenn sie ihr Pensum nicht schaffe, müsse sie Überstunden machen – unbezahlt. Eine andere Arbeiterin berichtet von verschlossenen Türen während eines Erdbebens.

Altemeier und Hornung gelingt die Balance zwischen den Einblicken in menschliches Leid und der Darstellung der politischen Hintergründe. Einige formale Schwächen hat der Film allerdings. Wenn ein Unternehmen wie etwa der Textilkonzern Kik sich auf schriftliche Anfrage weigert, sich vor der Kamera zu äußern, reicht das als Information für den Zuschauer aus. Man muss nicht auch noch quasi fürs Publikum einen „letzten Versuch“ machen und dann persönlich beim Unternehmen aufkreuzen, um die eigene Hartnäckigkeit zur Schau zu stellen.

Am stärksten berühren Bilder, die Altemeier und Hornung in der Türkei zu den Spätfolgen der Krankheit Silikose gedreht haben. Dabei handelt es sich um eine Form der Staublunge. Die unheilbare Krankheit ist eine Folge der Sandstrahltechnik, die dazu dient, Jeans einen „used look“ zu verpassen. Die Türkei verbot diese Methode 2009, in Bangladesch ist sie noch verbreitet. Einen Mann, der zehn Jahre lang in der Jeans-Industrie gearbeitet hat, filmt das Arte-Team, als er in einem Krankenhaus untersucht wird. Seine einzige Chance sei eine Spenderlunge, sagt der Arzt.

keine Hosen im „used look“

Sieht man die Gräber von türkischen Silikose-Opfern, die keine dreißig Jahre alt geworden sind, wird „Todschick“ endgültig zu einer Art Horrorfilm. Die Frage, die sich der Zuschauer spätestens dann stellt, lautet: Was darf man noch kaufen? Der Co-Autor Hornung wehrt sich aber gegen die Haltung mancher Experten, den Konsumenten zu viel Verantwortung aufzubürden. Gefordert sei die Politik. „Der Verbraucher hat kaum die Möglichkeit zu recherchieren, ob an einem Produkt Blut klebt“, sagt er. Etiketten, Siegeln und Zertifizierungen könne man oft keinen Glauben schenken, es fehle an Transparenz. Zumindest eines macht „Todschick“ klar: Hosen im „used look“ sollte man künftig nicht mehr kaufen.