In dem 3-Sat-Zweiteiler „Unser Deutschland: Zwei Syrer auf Winterreise“ erkunden Tarek und Fadi, zwei syrische Flüchtlinge, die Republik. Sie erzählen von ihren Sehnsüchten, Ängsten und Erwartungen – und kommen auch in Stuttgart vorbei.

Stuttgart - Hoch überm Rhein bei Rüdesheim macht sich die deutsche Geschichte in Gestalt des Niederwalddenkmals unübersehbar. Die zwölfeinhalb Meter hohe Germania aus Bronze könnte gut und gern eine dem Wahnsinn anheim gefallene Landmetzgersfrau darstellen, die im Nachthemd aufgestanden ist, um ihre Kinder abzuschlachten. Zu Füßen dieses Monstrums stehen im Zweiteiler „Unser Deutschland: Zwei Syrer auf Winterreise“ Tarek und Fadi; die beiden Asylsuchenden des Titels, sind neugierig und ein wenig gerührt. Sie wüssten gerne, wer die Figur sein und an was sie gemahnen soll.

 

Liebevoll schelmischer Reisebericht

So fragen sie in diesem weder anklagenden noch weinerlichen, sondern liebevoll schelmischen Reisebericht die anderen Denkmalsbesucher an einem feuchtkalten Schmuddelmorgen. „Woman?“ Ob das denn eine Frau sein solle, und welche, erkundigt sich Fadi. Aber der Mann, den er um Auskunft bittet,kann nur in Bruchstücken umherschwadronieren. Deutschland sei eben nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Hälften geteilt gewesen.

Er ist Niederländer, wie sich herausstellt. Die einzig andere Denkmalsbesucherin, an die sich Tarek und Fadi wenden können, ist eine junge Afghanin, die nur sechs Worte Deutsch spricht: „Entschuldigen Sie, ich spreche kein Deutsch.“ Beides hat etwas heiter Erleichterndes, der ehrliche Vorsatz der Neubürger, etwas zu lernen über ihr Land, und das völlige Nichtvorhandensein von Eiferern, die sofort auf Knopfdruck die verlogenen, überhitzten, schlecht informierten Nationaltheorien wiedergeben könnten, die dann nicht nur zu ein paar überdimensionierten Bronzefiguren, sondern zum Gehorsams- und Erwählungswahn des Dritten Reiches geführt haben.

Sie wagen sich sogar auf eine Pegida-Demo

Nicht, dass der 39-jährigeFadi, der im Land seiner Geburt als Innenarchitekt gearbeitet hat, und der 35-jährige Tarek, der Grafikdesigner war, sich vor diesem Teil der Geschichte ihres Zufluchtslandes drücken würden. Sie besuchen auf ihrer Reise die Gedenkstätte Buchenwald. Wie sehr sie das mitnimmt, lässt ahnen, welches andere Deutschlandbild sie haben, eines, an dem sie fortgesetzt arbeiten. Zu einer Kultur zu gehören, leben sie vor, das heißt nicht, bestimmte Papiere mit bestimmten Stempeln in der Tasche zu haben. Es heißt, sich auf die Angebote und Herausforderungen dieser Kultur einzulassen.

Und so besuchen Fadi und Tarek den Kölner Dom, gehen in Stuttgart in die Oper und werden von „Salome“ auch ergriffen, weil sie das Geschehen sofort ins Heute weiterdenken. Tarek steht nachts am Eckensee, schaut auf die Oper und sagt, dieses Gebäude sei noch viel besser als die Allianz-Arena. Für ihn, den Fußball-Fan, der zuvor im Heimatstadion und im Fanshop des FC Bayern München strahlte wie ein Honigkuchenpferd, will das allerdings etwas heißen.

Die Winterreisenden besuchen aber auch andere Flüchtlinge in Deutschland, Menschen, die im einen Moment geborgen und im nächsten verloren wirken. Seit den Anschlägen von Paris und dem Stimmungsumschwung in Deutschland gegenüber Asylsuchenden, bekennt eine alleinerziehende syrische Mutter, habe sie Angst, mit ihrem Kind auf die Straße zu gehen.

Kompliziertes Verhältnis zum Land

Sie weint einmal beim Gespräch, bei der Erinnerung an Syrien, und Fadi weint mit. Die Geflüchteten haben ein kompliziertes Verhältnis zu dem Land, aus dem sie geflohen sind, eines zwischen den Polen Abscheu und Heimweh. Auch diese Zerrissenheit wird in dem Zweiteiler deutlich, dessen Regisseur Thomas Lauterbach wie der Dramaturg und Cutter Torsten Truscheit übrigens von Stuttgart aus arbeitet.

Fadi ist ein großer Kommunikator, er macht den Film manchmal zu einer Abart von „Gernstls Reisen“, spricht Fremde stets offen an und knackt im Nu deutsche Zurückhaltung. Aber dass er und Tarek sich auf eine große Pegida-Demo wagen, lässt einem dann doch den Atem stocken. Fadi hört sich die Parolen eine Weile an, schaut in die Gesichter, dann beugt er sich zu seinen Begleitern und sagt ohne Gallespritzer, jetzt fühle er sich richtig zuhause: „All dieser Hass – wie in Syrien!“