Franz Josef Strauß hat polarisiert wie kaum ein anderer Politiker. Mit Spielszenen und Archivmaterial zeichnet das ARD-Dokudrama „Der Primus“ das Leben des CSU-Manns nach.

Stuttgart - Dreißig Jahre lang hat Franz Josef Strauß die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland polarisiert wie kein anderer Politiker; seine Anhänger verehrten ihn, bei seinen Gegner war er verhasst. Der Münchener, am 6. September 1915 geboren, hat nach Kräften dazu beigetragen, zum Feindbild für alle Linken und Pazifisten zu werden: Er war maßgeblich an der Einführung der Bundeswehr beteiligt, die er zudem am liebsten mit Atomwaffen ausgerüstet hätte, er war als Verteidigungsminister für die Anschaffung der regelmäßig abstürzenden Starfighter verantwortlich, und er löste 1962 die „Spiegel-Affäre“ aus, als er dafür sorgte, dass leitende Redakteure des Magazins wegen angeblichen Landesverrats verhaftet wurden.

 

Über dieses Kapitel gibt es einen hervorragenden Spielfilm von Roland Suso Richter, „Die Spiegel-Affäre“ (2014), mit einem glänzenden Francis Fulton-Smith als Strauß. An dessen Verkörperung müssen sich die nachgestellten Szenen des Dokudramas „Der Primus – Franz Josef Strauß“ messen lassen. Allerdings wirkt der Strauß-Darsteller Bernhard Ulrich im Vergleich zur wuchtigen physischen Präsenz des Vorbilds allenfalls ausgestopft. Außerdem ist er Strauß nur flüchtig ähnlich; das trübt die Wirkung der nachgestellten Szenen doch beträchtlich.

Politische Gegner von einst kommen kaum zu Wort

Ohnehin werden Werner Biermanns Ausführungen nicht dazu führen, dass man den 1988 verstorbenen Politiker nun mit völlig anderen Augen sieht. Immerhin bringt er manches zur Sprache, was die fanatischen Strauß-Feinde kaum je zur Kenntnis genommen haben. Als sich der Bayer 1979 anschickte, Kanzler zu werden, kam es im linken Spektrum zu einer regelrechten Mobilmachung („Stoppt Strauß!“); er wurde als Nationalsozialist dargestellt. Er warnte in der Tat Zeit seines Lebens vor der sowjetischen Bedrohung, doch so weit rechts stand selbst er nicht. Die Rekonstruktion seiner Kindheitstage in der elterlichen Metzgerei trägt zwar nur wenig zur Wahrheitsfindung bei, aber sie verdeutlicht, dass seine katholischen Eltern die atheistischen Nazis als „Lumpen und Verbrecher“ betrachteten, mit denen sie nichts zu tun haben wollten. Allerdings traf es den Vater hart, dass sein Sohn nicht die Metzgerei übernehmen würde, weil der Pfarrer dafür sorgte, dass der hochbegabte Junge aufs Gymnasium ging, wo er – außer im Turnen – lauter Einsen bekam; daher der Titel „Der Primus“.

Biermann durchsetzt die Spielszenen mit dokumentarischen Aufnahmen, was die Diskrepanz zwischen Spielfigur und Vorbild naturgemäß noch verstärkt. Außerdem lässt er, auch das gehört zum Muster solcher Produktionen, verschiedene Weggefährten zu Wort kommen. Während die Erzählungen der Strauß-Kinder noch einigermaßen erhellend sind, hätte er sich die meisten anderen Gespräche sparen können. Geradezu eklatant ist jedoch das Fehlen der Gegenseite. Biermann hat zwar auch mit früheren „Spiegel“-Mitarbeitern gesprochen, doch deren Äußerungen sind sehr gemäßigt. Politische Gegner von einst fehlen daher völlig, was ausgesprochen schade ist. Der Wahlkampf 1980 ist mit extrem harten Bandagen geführt worden, und es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob Bundeskanzler Helmut Schmidt das Feindbild Strauß damals bewusst überspitzt dargestellt hat. Der Bayer hegte laut Biermann große Bewunderung für Helmut Schmidt, dessen Ideen er durchaus teilte, und natürlich wüsste man gern, was Schmidt heute dazu sagen würde.

So aber konzentriert sich der Film schließlich auf den jahrzehntelangen Zweikampf zwischen Strauß und Rudolf Augstein; die Tiraden gegen den „Spiegel“-Chef und seine Mitarbeiter („Hamburger Kanaillen“) sind fast schon herzerfrischend. Während der „Spiegel“-Affäre sind die Menschen übrigens für die Pressefreiheit auf die Straße gegangen; auch in dieser Hinsicht hat sich gut fünfzig Jahre später einiges verändert.

ARD, 22.50 Uhr