Von den Brüdern war nur der eine bekannt: Reichsfeldmarschall und Hitler-Stellvertreter Hermann Göring. Dass sein Bruder Albert in der Nazizeit Hunderte vor dem Tod rettete, ist vergessen. Ein ARD-Fernsehfilm soll das nun ändern.

Stuttgart - Hunderten hat Albert Göring während des Nationalsozialismus gerettet. Der diplomierte Ingenieur, der unter anderem in der Filmbranche tätig war, verhalf Opfern des Regimes zur Ausreise - unter anderem, indem er Pässe besorgte. Andere NS-Verfolgte holte er aus den Konzentrationslagern. Dennoch landete Albert Göring nach der Befreiung Deutschlands im Gefängnis, weil die Amerikaner ihm nicht glaubten, dass er Menschen gerettet hatte. Er hatte schlicht den falschen Nachnamen: Albert Göring war der Bruder Hermann Görings, Gründer der Gestapo und einer der Hauptverantwortlichen für die Massenmorde der Nationalsozialisten.

 

Die Produzentin und Moderatorin Sandra Maischberger sagt, Albert Göring sei ein „vergessener Held“. Um dazu beizutragen, ihn dem Vergessen zu entreißen, hat sie mit ihrer Firma Vincent TV das Dokuspiel „Der gute Göring“ produziert. Die Würdigung des Mannes, der vor fünfzig Jahren in München starb, ohne jemals für seine Hilfeleistungen öffentliche Anerkennung erfahren zu haben, strahlt die ARD am Sonntagabend um 21.45 Uhr aus.

Auf das Thema stieß Maischberger 2013 durch einen „Spiegel“-Artikel. In der Geschichte der beiden Brüder stecke „wunderbares Material für einen Film“, schrieb Gerhard Spörl damals. Der „Spiegel“-Autor hatte den richtigen Riecher – und das zahlte sich auch für ihn persönlich aus. Mit Jörg Brückner schrieb er das Drehbuch für „Der gute Göring“. „Die Geschichte lag in der Luft“, sagt Matthias Martens von Vincent TV. „Wir haben von befreundeten Produzenten mitbekommen, dass sie das Thema auch gern gemacht hätten.“

Albert nutze die Stellung des Bruders für die gute Sache

Kai Christiansen hat den Film als eine Art Doppelbiografie inszeniert. Barnaby Metschurat gibt den guten Bruder, Francis Fulton-Smith, der 2014 in dem Fernsehfilm „Die Spiegel-Affäre“ Franz-Josef Strauß verkörperte, den bösen. Maischberger findet, es ergebe „wenig Sinn, von Albert Göring und seinen Heldentaten zu erzählen, ohne auf seinen Bruder einzugehen. Wir fanden es ja gerade hochinteressant, dass es eben zwei Brüder sind, die einen weltpolitischen Konflikt im kleinsten Kreis austragen.“ Die Geschichten der beiden lassen sich auch deshalb kaum voneinander trennen, weil Albert Göring die Stellung des Bruders für die gute Sache nutzte. So verfasste er Protestbriefe gegen Verhaftungen auf dem offiziellen Briefpapier der Familie – und unterschrieb mit „Göring“. Die Beamten dachten dann, das Schriftstück stamme von Hermann Göring.

Die Entscheidung, ob man über die Brüder eine Dokumentation dreht oder auf eine Mischform aus fiktionalen Szenen und dokumentarischen Material setzt, habe sich schon aus der Materiallage ergeben, meint Maischberger. „Es gibt zahllose Filmminuten über Hermann Göring, es gibt nichts über Albert. Da liegt es dann nahe, dass man inszeniert, was man erzählen will.“ Die Journalistin sagt, sie sei „schon immer, als normaler Zuschauer sozusagen, ein großer Fan von Heinrich Breloer und Horst Königstein gewesen“, zwei Pionieren des Dokudramas.

Privat war er keine Heldenfigur

„Der gute Göring“ gliedert sich in fünf Akte, sie basieren auf „historisch verbrieften Begegnungen“ zwischen den Brüdern, wie Matthias Martens sagt. Für ihn ist es auch ein aktueller Film: „Wir finden es besonders wichtig, positive Heldengeschichten zu erzählen, um der heutigen Generation zu zeigen, dass es richtig ist, Stellung zu beziehen und aufrecht durchs Leben zu gehen.“ In der Hinsicht knüpft „Der gute Göring“ an ein anderes Dokuspiel an, das Maischbergers Firma produziert hat: „Ein blinder Held – die Liebe des Otto Weidt“. Der 2014 gesendete Film erzählt die wahre Geschichte eines blinden Berliner Unternehmers, der nach Auschwitz reist, um die von ihm geliebte Frau zu befreien. Auch formal gibt es Parallelen. „Beide Filme sind im Kern Kammerspiele“, sagt Maischberger.

Die Produzentin, deren Talkshow ab der kommenden Woche mittwochs läuft und dann nur noch schlicht „Maischberger“ heißt, macht einen Unterschied zwischen dem Widerständler und der Privatperson Albert Göring. „Heldenhaft war seine politische Haltung, nicht seine persönliche Lebensführung“, sagt sie. Als treuer Ehemann ist Albert Göring nicht auffällig geworden, er war viermal verheiratet.

Görings Bilder wurden für den Film kopiert

Der Film besteht zu etwas mehr als zwei Drittel aus Spielszenen. „Im Grunde genommen ist der Aufwand vergleichbar mit dem eines Spielfilms“, sagt Matthias Martens. „Wir haben Drehbuchautoren, die Dialoge schreiben, Top-Schauspieler, nicht zu vergessen die Ausstattung.“ In die floss überproportional viel Geld: Hermann Göring umgab sich mit zusammengeraubten Kunstwerken, und um von dieser Lebenswelt einen Eindruck zu vermitteln, gaben die Produzenten bei Malern Kopien einiger Gemälde in Auftrag, unter anderem von Cranach’schen „Venus“-Darstellungen. Zu sehen sind im Film also Kunstfälschungen im Dienste eines aufklärerischen TV-Films.

Über das private Leben von Menschheitsverbrechern etwas zu erzählen, ist aber grundsätzlich problematisch, denn irgendeinen normalen Charakterzug, der sie vielleicht ein bisschen weniger bestialisch erscheinen lässt, haben sie alle. Als seine erste Frau Carin 1931 an Tuberkulose stirbt, „ist Hermann tief erschüttert“, heißt es in dem Film. Was auch sonst? Solche textlich nachlässigen Passagen schmälern etwas das Verdienst des Films, das Wirken Albert Görings einem größeren Publikum bekannt zu machen.

Wird der gute Bruder in Yad Vashem geehrt?

Viel zu verdanken hat das TV-Projekt den langjährigen Forschungen des Australiers William Hastings Burke, der mit dem 2012 auf Deutsch erschienenen Buch „Hermanns Bruder: Wer war Albert Göring?“ das Interesse der Medien weckte – unter anderem, weil er den lange Vergessenen mit Oskar Schindler vergleicht. Parallel entstand der Dokumentarfilm „Görings vergessener Bruder“, den ZDF Info vor wenigen Tagen noch einmal sendete. 2012 war es auch, als George Pilzer, ein Sohn des Filmproduzenten Oscar Pilzer, der Albert Göring sein Leben verdankt, bei der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den Antrag stellte, den Nazi-Gegner mit dem Nazi-Nachnamen in die Gruppe der „Gerechten unter den Völkern“ aufzunehmen. Ob sie es tut, kann die für den Film interviewte Irena Steinfeldt, die in Yad Vashem die zuständige Abteilung leitet, noch nicht sagen.

Eine Rolle spielt auch, dass die Gedenkstätte mit dieser hohen Ehrung nur Menschen bedenkt, die keine Juden waren. Albert Göring könnte aber der uneheliche Sohn eines adligen jüdischen Arztes gewesen sein. Eine Kommission aus Holocaust-Überlebenden muss letztlich entscheiden. „Einerseits müsste es eine Ehrung geben“, sagt Sandra Maischberger. „Andererseits ist es ein Name, den man sich auf diesem Gelände nur schwer vorstellen kann.“