Bei Dokville, dem Branchentreff des Dokumentarfilms in Ludwigsburg, sehen Regisseure ihr Genre in der Krise. Hoffnung geben Spartensender.

Stuttgart - Geplant war der Film offenbar schon lange, doch erst die Begegnung mit 3-D zeigte Wim Wenders eine ästhetisch befriedigende Lösung, die Choreografien von Pina Bausch auf die Leinwand zu bringen. Doch die Dreharbeiten zu "Pina" waren ein Wagnis, weil die Möglichkeiten und Beschränkungen der neuen Technologie in der Praxis erprobt werden mussten. Gelohnt, wie man so sagt, hat sich das Ganze: die Zuschauerzahlen stimmen - und jetzt wurde Wenders in Ludwigsburg für "Pina" mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet.

 

Ob nun ausgerechnet dieser Regisseur mit einem Preisgeld für seinen nächsten Dokumentarfilm gefördert werden muss, ob es nicht politisch relevantere Filme als "Pina" gegeben hätte, ob "Pina" überhaupt ein Dokumentarfilm ist: solche Fragen mag man sich stellen. Aber der so charmante wie detailreiche Werkstattbericht zu "Pina", den Wenders und sein 3-D-Producer Erwin M. Schmidt beim Branchentreff Dokville gaben, legitimierte allemal den Preis für das Innovative des Projekts. Und im Gegensatz zum Filmpreis "Lola", wo neben "Pina" ärgerlicherweise nur noch "Kinshasa Symphony" nominiert worden war und damit eine komplette Jahresproduktion an Dokumentationen übergangen wurde, standen beim Deutschen Dokumentarfilmpreis immerhin zehn Filme zur Auswahl. Nebenpreise gingen an "How to make a Book with Steidl" von Gereon Wetzel und Jörg Adolph sowie an "Der Tag der Spatzen" von Philip Scheffner.

Der Dokumentarfilm steckt in einer Krise

Die Gala-Preisverleihung in Ludwigsburg fungiert strategisch auch als Lockstoff für Prominenz. So konnte man hier etwa hören, dass der SWR-Intendant Peter Boudgoust den künstlerischen Dokumentarfilm als eine der Königsdisziplinen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bezeichnete. Hätte Boudgoust die Tagung besucht, hätte er seine These wohl in Richtung eines Kaspar-Hauser-Effekts relativieren müssen. Denn als ungeliebtes Königskind des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steckt der Dokumentarfilm in einer Krise, die nur noch übertroffen wird von der Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks selbst, dessen Agonie an die Vorgänge in der Musikindustrie erinnert.

Während sich die Filmemacher um alternative Finanzierungsformen wie Cloudfunding und alternative Distributionsformen wie Video on Demand kümmern und gleichzeitig mit den Sendern um eine angemessene Aktualisierung der Rechtevergabe ringen, wähnten sich anwesende Redakteure als "Guerillatruppe", die in der von Gebührengeldern gemütlich eingerichteten Nische das Gute, Schöne, Wahre pflegen. Einerseits schätzt man diese Nische in der Nische als einen vor Quotennachfragen sicheren Ort, andererseits wundert man sich, dass nach der Ausstrahlung eines meisterlichen Dokumentarfilms nach Mitternacht nur ein, zwei Zuschauermails eintrudeln, die den Redakteuren anerkennend auf die Schulter klopfen. Deshalb mussten die Redakteure diesen Job jetzt wohl oder übel selbst übernehmen.

Hoffnungen verbinden sich mit Spartensendern

Sie taten dies in Ludwigsburg mit sichtlich großem Wohlgefallen. Bezeichnenderweise zog sich die Fernsehmoderatorin Tina Mendelsohn bei ihren Gesprächen und Fragen lieber aufs unverbindliche Hörensagen zurück, statt präzise aus ihren eigenen Erfahrungen im 3-Sat-Alltag zu schöpfen. So waren es freie Filmkritiker, die bei Dokville nachfragten, wie es denn angesichts des Fernsehalltags, des Kampfes über Sportübertragungsrechte und der Tatsache, dass zwei Drittel der Gebühren in den Apparat fließen, um den Kulturauftrag bestellt sei. In der Nische der Nische fungiert der künstlerische Dokumentarfilm als Feigenblatt für die Wahrnehmung des Kulturauftrags - so könnte man die Gegenwart polemisch zuspitzen.

Die Zukunft sieht düsterer aus. Die Sendeplätze gehen zurück, die Etats sinken, die Hochschule produzieren Nachwuchs, der am Bedarf vorbei ausgebildet wird. Hoffnungen verbinden sich allein mit Spartensendern wie ZDF neo und den Internetauftritten der Fernsehsender. Nichtlineares Fernsehprogramm heißt das Zauberwort. Alles steht im Netz zur freien Verfügung - und der mündige, vom Programmschema befreite Zuschauer stellt sich sein Programm künftig selbst zusammen. Outgesourced und zur Privatsache würde damit der Kulturauftrag. Und sehr fraglich wäre, ob die öffentlich-rechtlichen Anstalten - womöglich als Guerillatruppe - diesen Wandel der Öffentlichkeit einfach aussitzen könnten.