Für Gehörlose ist die Gebärdensprache wichtig, um kommunizieren zu können. Wir haben uns mit Gebärdendolmetscherin Sonja Lewandowski getroffen – und einen kleinen Video-Gebärdensprachkurs mitgebracht.

Winnenden - Es ist so, als ob man eine Fremdsprache lernen würde“, erklärt Sonja Lewandowski. Die Gebärdensprache habe sich auf natürliche Weise ausgebildet und weiterentwickelt und sei nicht etwa von einer Institution erfunden worden. Die Gebärdendolmetscherin arbeitet seit 25 Jahren mit hörbehinderten Menschen in der Paulinenpflege Winnenden. Als dort 2002 die erste Stelle für eine Gebärdendolmetscherin geschaffen wurde, hatte sie sich darauf beworben und ist seit dem zuständig für die Verbesserung der Gebärdensprachkompetenz der Einrichtung. Zum 15. Geburtstag des institutionalisierte Dolmetschertums in der Paulinenpflege zieht sie eine gemischte Bilanz.

 

Die Gebärdensprache sichert die Selbständigkeit von Gehörlosen

Jeder hat wohl schon einmal gesehen, wie eine Rede von einem Dolmetscher in die Gebärdensprache übersetzt wird. Mittlerweile werden auch Nachrichtensendungen des Öffentlich-rechtlichen Fernsehens teilweise mit Gebärdensprache ausgestrahlt – freilich nicht im Hauptprogramm, sondern auf dem dazugehörigen Ereigniskanal. In den Augen von Sonja Lewandowski ist das zwar schon eine Verbesserung für hörbehinderte Menschen, die aber noch lange nicht ausreiche, um ihnen eine sinnvolle Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Das sieht auch Gabi Braig so. Seit über 20 Jahren arbeitet sie mit Menschen, die eine Hörbehinderung haben. Im Auftrag der Paulinenpflege gibt sie seit acht Jahren regelmäßig Kurse in Gebärdensprache. Gabi Braig ist seit frühester Kindheit gehörlos. Für sie ist die Gebärdensprache für gehörlose Menschen eine unverzichtbare Grundlage dafür, dass sie in ihrem sozialen Umfeld kommunizieren können.

Die Empfehlung vieler Ärzte, Kleinkindern, die gehörlos geboren wurden, mit dem sogenannten Cochlea-Implantat den Spracherwerb zu ermöglichen, sieht die Dozentin für Gebärdensprache kritisch. Das könne bei manchen Kindern funktionieren, jedoch selten zu 100 Prozent. Wenn die Eltern dann aber auf den parallelen Erwerb der Gebärdensprache verzichteten, hänge die Selbstständigkeit des jungen gehörlosen Menschen alleine von einem elektronischen Bauteil ab, erklärt Gabi Braig in Gebärdensprache, während Sonja Lewandowski ihre Worte übersetzt.

Eine eigenständige, vollwertige Sprache

Grundsätzlich unterstütze sie auch jede Art von Inklusion. Natürlich sei es schön, wenn ein junger Mensch mit einer Hörbehinderung in einer Gesamtschule gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet werde und sich dadurch zugehörig fühle. Dennoch seien die Gehörlosenschulen, die wesentlich individueller auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen könnten, unerlässlich. Hier sei die Bildung schlichtweg besser, als auf einer Regelschule, da sich die Lehrer auf den Lehrstoff fokussieren könnten, und nicht wertvolle Unterrichtszeit auf die mehrspurige Kommunikation verwenden müssten.

Während der Unterhaltung wird deutlich, dass bei der Gebärdensprache nicht nur die Hände eine wichtige Rolle spielen, sondern auch Mimik, Mundbild und eigentlich der gesamte Oberkörper. Gabi Braig erklärt, dass eine Gebärde sich immer aus Handform, Handstellung, Bewegung und Ausführungsstelle zusammensetzt. Auch Grammatik spiele dabei eine Rolle.

Mit der Mimik werde beispielsweise definiert, ob es sich um einer Frage oder eine Aussage handle. Personen und Objekte würden dagegen im sogenannten Gebärdenraum platziert. Außerdem gäbe es keine internationale Gebärdensprache. Jedes Land verfüge über eine eigene Sprache. Sogar unterschiedliche Dialekte innerhalb eines Sprachraums würden die Verständigung manchmal noch zusätzlich verkomplizieren. So existierten in der deutschen Gebärdensprache mindestens fünf unterschiedliche Gebärden für das Wort „Frau“.

Jeder kann die Gebärdensprache lernen

Lernen könne die Gebärdensprache aber jeder, unterstreicht Gabi Braig. Man müsse sich eben, wie bei jeder Fremdsprache, richtig reinhängen und dran bleiben. Sonja Lewandowski bedauert indes, dass immer weniger Menschen die Gebärdensprache lernen wollten. Das sei zum einen sicherlich dem technischen Fortschritt geschuldet. Andererseits sieht sie darin aber auch ein nachlassendes Interesse mancher Leute, sich für die Menschen in ihrem Umfeld zu engagieren. „Wenn ich spanisch lerne, kann ich mich in Spanien im Urlaub unterhalten“, sagt die Dolmetscherin. Wenn einer die Gebärdensprache lerne, könne er sich mit einem gehörlosen Menschen in seiner Sprache austauschen. Für manche sei das einfach nicht Anreiz genug.