Man muss im irdischen Jammertal nur genügend darben, dann wird man im Jenseits bestimmt reich belohnt. Diesem Glauben hängt in Donald Ray Pollocks Edel-Spätwestern „Die himmlische Tafel“ der alte Pearl Jewett an. Doch nach seinem Tod geraten die drei Söhne sofort auf die schiefe Bahn.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Western und Automobile - das geht nicht gut zusammen. Wenn die moderne Benzinkutsche Einzug hält in die Szenerie der Cowboys und Banditen, senkt sich ein Schleier grimmiger Melancholie über das Geschehen. Das ist in Sam Peckinpahs „The Ballad of Cable Hogue“ oder „The Wild Bunch“ so und in John Waynes Schwanengesang vom „Shootist“ – vom Jahrzehnte später spielenden „Lonely are the Brave“ („Einsam sind die Tapferen“) mit Kirk Douglas ganz zu schweigen. Und auch Donald Ray Pollock bringt in seiner zurecht hoch gelobten „Himmlischen Tafel“ ein Auto ins Spiel, das die Helden eigentlich ins rettende Kanada bringen soll, dann aber im entscheidenden Moment . . . aber das verraten wir an dieser Stelle natürlich nicht.

 

Barbarische Moderne

Auf jeden Fall spielt das Buch zu einer Zeit, in der der alte Westen nur noch in Kolportage-Romanen lebt (ein Exemplar begleitet unsere Helden, die ungleichen Brüder Cane, Cob und Chimney Jewett, auf Schritt und Tritt), auf der anderen Seite des Atlantiks die Moderne aber mit barbarischem Technokratentum zuschlägt. Wir schreiben das Jahr 1917, Amerika ist eben in den Ersten Weltkrieg eingetreten, irgendwo in der Provinz bereiten sich Rekruten und Offiziere auf den Kampfeinsatz gegen ein Land namens Deutschland vor.

Mit der Moderne ist es in Georgia, Alabama und Ohio zu dieser Zeit ansonsten nicht weit her. Wie viele andere auch, sind die Jewetts bitter arm. Sie vegetieren dahin und halten sich mit niederen Arbeiten grade so über Wasser. Der einzige Luxus ist, dass der Älteste das abendliche Unterhaltungsprogramm gestalten kann, weil ihm die Mutter vor ihrem Tod noch das Lesen beibrachte.

Auftaktmord am Arbeitgeber

Als Pearl, der ausgezehrte Vater der Drei, ebenfalls stirbt (und nach seinem plötzlichen Tod womöglich an der titelgebenden himmlischen Tafel Platz nehmen darf, an die er immer geglaubt hat), geraten die Jungs sofort auf die schiefe Bahn. Sie ermorden ihren Arbeitgeber (der seinerseits ein Paradebeispiel für moralische und strafrechtliche Verderbtheit war) und beginnen eine steile Karriere als Desperados. Raubend und mordend ziehen sie durchs Land, bald verfolgt von Bürgern und Polizisten, die auch nicht sehr viel besser sind als das ungleiche Trio.

In der Garnisonsstadt Meade beschließen die Jewetts, von ihrer Beute ein Auto zu kaufen, um rasch ins sichere Kanada zu kommen. Denn eigentlich träumen sie von einer sicheren, halbwegs bürgerlichen Existenz.

„Die himmlische Tafel“ ist ein Roman, wie er in dieser Ausprägung offenbar nur in Amerika geschrieben werden kann. Pollock pflegt eine klare, kräftige Prosa, er hat ein beachtliches Tableau an unterschiedlichen Personen, er denunziert keine seiner Figuren, beim Verschränken des Handlungsstränge verzettelt er sich nicht, sondern hält den großen Bogen. Und trotz seiner stellenweise drastischen Schilderungen kommt er nicht ganz so blutrünstig daher wie ein anderes Buch aus demselben Verlag und aus der gleichen Liga: James Carlos Blakes „Das Böse im Blut“.

Statt dessen glänzt der 1954 geborene Autor mit einer Zutat, die das Buch vollends so überaus lesenswert macht: dem manchmal handfesten, an anderer Stelle aber auch sehr subtilen Humor. Yeah!

Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind-Verlag, München 2016. 432 Seiten, 22 Euro. Auch als E-Book, 16,99 Euro.