Doping in der Antike Mit Stierhoden zum Sieg

Kampfszene auf einer Tasse: Beim Pankration war fast alles erlaubt. Foto: Imago/

Die Olympischen Spiele waren schon in der Antike kein Hort sportlicher Ideale: Athleten ließen sich bestechen, kauften Erfolge und versteigerten ihr Können an die meistbietende Stadt.

Olympia - „In Olympia war mein Preis ein Ohr, in Platää ein Lid, in Delphi wurde ich scheintot hinausgetragen.“ Dieses Lamento eines Faustkämpfers, überliefert durch den Dichter Lukian von Samosata, offenbart, dass es in antiken Wettkampfstätten nicht sonderlich sportlich zuging. Gekämpft wurde mit Haken und Ösen, grobe Unsportlichkeiten waren an der Tagesordnung.

 

Beim Pankration – dem „Allkampf“ – etwa, einer wüsten Keilerei, bei der auch Tritte in die Hoden und das Abwürgen der Luft erlaubt waren, kam es oft zu fürchterlichen Verletzungen – zuweilen mit tödlichen Folgen.

Dabeisein ist nichts – der Sieg alles

„Die Vorstellung, wonach antike Athleten dem Fair Play huldigten, hat ebenso wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun wie der heute viel beschworene olympische Geist jener Zeit“, erklärt Gerhard Horsmann. Für den Mainzer Alt- und Sporthistoriker steht fest: „Der Sportbetrieb war in der Antike nicht wesentlich anders als heute.“

Dem antiken Olympiasieger winkte zwar nur ein Olivenkranz, aber der war die Garantie für unsterblichen Ruhm, Ehre und Wohlstand. Jeder, der nackt und barfuß in Olympia an den Start ging, hatte folglich nur eines im Sinn: den Sieg. Kein antiker Olympiateilnehmer hätte sich mit dem neuzeitlichen Motto „Dabeisein ist alles“ zufriedengegeben. Denn Dabeisein war nichts – der Sieg alles.

Ruhm als Antrieb

Dieses unbedingte Streben, im Wettbewerb der Beste zu sein, wird in der Literatur immer wieder als typisches griechisches Phänomen beschrieben. Die Lust am Wettstreit speiste sich aus der „philotimia“, der Ehrliebe oder besser Ruhmesbegierde.

Dafür bot der sportliche Wettkampf – griechisch: „agon“ – beste Voraussetzungen, denn theoretisch konnte jeder seinen Körper zu Höchstleistungen treiben. Sportwettkämpfe gehörten zum Alltag und zu den Höhepunkten religiöser Feste oder anderer Feiern.

Die Sieger werden mit Ehren überhäuft

Ein Sieg in Olympia war das Höchste, was einem Sterblichen zuteilwerden konnte. Wer im Heiligen Hain des Zeus der Erste war, dem verschaffte sein Sieg Unsterblichkeit. Auf die erfolgreichen Athleten wurden Oden gesungen, „epinikia“ genannte Siegeslieder. Ihnen wurden Statuen errichtet, sie konnten politischen Einfluss erlangen und sogar kultische Ehrung, wie jener Theagenes von der Insel Thasos, der im 5. Jahrhundert vor Christus mehr als 1300 Siege im Faustkampf errungen haben soll.

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Zudem überhäuften die Heimatstädte ihre siegreichen Olympioniken mit Ehren, Steuerfreiheit, freier Kost im Rathaus oder Geldgeschenken. Grund genug für antike Athleten, alles daranzusetzen, als Sieger die Wettkampfstätte zu verlassen. Zumal Verlierer, und das waren schon die Zweitplatzierten, dem Lyriker Pindar (522–443 vor Christus) zufolge „unehrenhafte Heimkehr“, Spott und Häme erwarteten. Kein Wunder also, dass es mit dem Fair Play nicht so weit her war.

Die Liste der Skandale ist lang

Der Reiseschriftsteller Pausanias listete im 2. Jahrhundert nach Christus gleich mehrere Skandale auf. So bestach 388 vor Christus der Thessalier Eupolos vor dem olympischen Faustkampf drei Gegner, um sich den Sieg zu sichern. Dummerweise wurde er erwischt, zu einer hohen Geldstrafe verdonnert und seine Verfehlung publik gemacht. Was schwerer wog als der materielle Verlust.

Ein anderer Athlet, Astylos von Kroton, 488 vor Christus zweifacher Olympiasieger im Stadion- und Doppellauf, ließ sich mit viel Geld überreden, für eine andere Stadt, nämlich Syrakus, zu starten. Tatsächlich gewann er und trat bei der Siegerehrung als Bürger von Syrakus auf.

Die Wut der Heimat

Das nahm ihm seine Heimatstadt übel. Astylos wurde geächtet, sein Haus konfisziert und sein Standbild, das zu Ehren seiner früheren Olympiasiege errichtet worden war, geschleift.

Manchmal kam es auch vor, dass Athleten absichtlich verloren, wie jener Ringer, der sich im 2. Jahrhundert seine Niederlage mit 3000 Drachmen bezahlen ließ. Andere setzten auf die Macht der Magie: Auf geheimnisvollen Fluchtäfelchen wurden die Kräfte der Unterwelt beschworen, um die Konkurrenten zu schwächen. Für den Sporthistoriker Wolfgang Decker steht außer Frage: „Kein antiker Athlet hätte auch nur eine Sekunde gezögert, leistungsfördernde Mittel einzunehmen, wenn es sie gegeben hätte.“

Antilopenfleisch auf dem Speiseplan

Bekannt ist, dass einige Sprinter das Fleisch der schnellen Antilopen auf ihren Speiseplan setzten, andere schworen auf eine Fruchtdiät. So wie Charmis, Sieger des Stadionrennens 668 vor Christus, der sich mit einer Spezialdiät aus Trockenfeigen und feuchtem Käse stärkte.

„Leistungssteigernde Mittel“ nahmen auch die Kraftsportler zu sich. Sie machten Gewicht mit Unmengen Stierfleisch, um Körpermasse und Muskelkraft zu entwickeln. „Anankophagia“ nannte man verächtlich dieses „Zwangsdoping“, zu dem auch das künstliche Erbrechen gehörte. Selbst nachts standen die Männer auf und verschlangen nach Plan tierische Produkte.

Euripides lässt kein gutes Haar an den Athleten

Bald entdeckten diese fettleibigen Kolosse die leistungsfördernde Wirkung von Stierhoden – die Frühform des Testosteron-Dopings. Harsch war die Kritik des griechischen Arztes Galen (129–199 nach Christus): „Die Ringer führen ein Leben wie die Schweine. Ihr ganzes Tun besteht aus Essen, Trinken, Schlafen, Verdauen, Sich-im-Dreck-Wälzen. Nur die Fleischmasse wird unmäßig entwickelt, alle seelischen und geistigen Fähigkeiten gehen zugrunde.“

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Und der Dramatiker Euripides, der allgemein an den Athleten kein gutes Haar ließ, nannte die menschlichen Fleischberge „Sklaven ihrer Kiefer und Opfer ihrer Bäuche“. Auf ihn geht auch das bekannte Verdikt zurück: „Griechenland kennt viele Übel, am schlimmsten aber ist das Volk der Athleten.“

Kämpfer zeigen keine Gnade

Gekämpft wurde mit allen Mitteln. „Kranz oder Tod“ lautete das olympische Motto der Antike, das mancher Kampfsportler auf seinen Grabstein meißeln ließ. Er dokumentierte damit seinen unbedingten Willen, bis zum Umfallen zu kämpfen – vor allem beim eingangs erwähnten Pankration, bei dem der Kampf auch am Boden weiterging und erst zu Ende war, wenn einer der Kontrahenten aufgab.

Treten, Würgen und Glieder verrenken waren beliebte Techniken, und narbenbedeckte Ohren, „Blumenkohlohren“ genannt, eine Art Markenzeichen der Pankratiasten.

Unsportlich zum Sieg

Beispielhaft für die Erbarmungslosigkeit der Wettkämpfe war das olympische Pankration-Finale 564 vor Christus: Arrhichion wurde von seinem Gegner mit Beinschere und Halswürgen bis an den Rand der Bewusstlosigkeit gebracht. Doch der Trainer drängte nicht auf Abbruch des Kampfes, sondern rief seinem Schützling zu: „Welch herrlicher Totenschmuck, in Olympia nicht aufgegeben zu haben.“

So angestachelt, gelang es Arrhichion tatsächlich, seinem Gegner den Zeh zu brechen und ihn zur Aufgabe zu zwingen. Derart grobe Unsportlichkeiten würden heute sofort geahndet, dafür kennt der moderne Sport ganz andere Mittel, um zum Erfolg zu kommen.

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1200 Jahre lang, von 776 vor Christus bis 426 nach Christus, fanden im Heiligen Hain des Zeus im Vierjahresturnus die Olympischen Spiele statt, die den Griechen so wichtig waren, dass sie ihre Jahreszählung nach ihnen ausrichteten. Bis der christliche Kaiser Theodosius II. das heidnische Heiligtum schließen ließ.

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