Dopingskandal bei Olympia Darum geht es im Fall Kamila Walijewa
Ein dubioses Umfeld, Morddrohungen, Vitamintabletten und mittendrin ein russisches Wunderkind – der Dopingfall der 15-jährigen Eiskunstläuferin belastet die Winterspiele.
Ein dubioses Umfeld, Morddrohungen, Vitamintabletten und mittendrin ein russisches Wunderkind – der Dopingfall der 15-jährigen Eiskunstläuferin belastet die Winterspiele.
Peking - Der Fall wird immer mehr zu einem Thriller, der Akte „Kamila Walijewa“. Es gibt eine Eiskunstlaufprinzessin, einen Dopingverdacht, ein juristisches Gezerre, ein undurchsichtiges Gewirr von Personen im Hintergrund – und nun gibt es auch Androhungen von Gewalt und Mord. An diesem Montag will der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Peking bekannt geben, ob die 15 Jahre alte Eiskunstläuferin im Kurzprogramm der Damen an diesem Dienstag (11 Uhr/MEZ) starten darf. Der Fall wurde am Sonntagabend in Peking (20.30 Uhr Ortszeit) verhandelt. Das Urteil des Schiedsgerichts, in dem Fabio Iudica (Italien), Jeffrey Benz (USA) und Vesna Bergant Rakocevic (Slowenien) sitzen, soll an diesem Montagnachmittag mitgeteilt werden. Am Sonntag stand der Name Kamila Walijewa noch auf der offiziellen Startliste des Wettbewerbs.
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Der Fall nimmt an Rasanz zu, am Wochenende folgte die nächste Eskalation. Von den beiden Reportern des Internetportals „insidethegames“, wo zuerst über den positiven Test von Walijewa berichtet worden war, erhielt einer eine Morddrohung, wie er gegenüber dem „Guardian“ behauptete. Andere Reporter des Portals, berichtet das Blatt weiter, seien von russischen Journalisten im Medienzentrum umringt und bedrängt worden, als sie die Eiskunstläuferin fragten, ob sie gedopt habe. Die Russen hätten die Fragen als unangemessen kritisiert und ihr Unverständnis darüber massiv geäußert, wie westliche Medien über den Fall berichteten.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) sah sich genötigt einzugreifen. IOC-Sprecher Mark Adams versuchte es mit Humor, meinte zur aufgeheizten Atmosphäre flapsig, alle mögen mal eine „Tablette zur Beruhigung schlucken“. Ob dies eine der Ernsthaftigkeit der Lage angemessene Reaktion darstellte, darüber kann man diskutieren. Immerhin verurteilte das IOC die Androhungen von Gewalt in jeder Form.
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Es gibt viele Undurchsichtigkeiten, fest steht bis heute nur unzweifelhaft: Von Kamila Walijewa liegt eine positive Dopingprobe vor, die Europameisterin war am 25. Dezember 2021 positiv auf das verbotene Herzmedikament Trimetazidin getestet worden. Das Labor in Stockholm hatte dies der russischen Anti-Dopingagentur Rusada erst am 8. Februar mitgeteilt, tags zuvor hatte der Teenager im Teamwettbewerb Gold gewonnen. Vier Tage später wurde der Fall offiziell bestätigt.
Die Rusada sprach eine Suspendierung aus, deren Disziplinarkommission hob sie wieder auf, dann legten das IOC, die Internationale Anti-Dopingagentur Wada sowie der Eislaufweltverband ISU Einspruch ein – und nun liegt der Fall beim Cas. Die Rusada hatte die Verzögerung der Analyse der Probe damit begründet, dass Covidfälle die Auswertung verschleppt hätten, weil mehrere Mitarbeiter des Labors erkrankt seien. „Schickt es an ein anderes Labor, wenn so was auftritt“, kritisierte US-Dopingjäger Travis Tygart und sprach von einem „katastrophalen Versagen des Systems zum Schutz der Öffentlichkeit, der Integrität der Spiele und der sauberen Athleten“. Das IOC wollte die Coronatheorie der Rusada bislang nicht bestätigen. Kamila Walijewa trainierte auch am Sonntag in China scheinbar unbeeindruckt weiter.
Schon wieder Russland. Die Sportler dürfen wegen des Staatsdopings 2014 und den Betrügereien des Moskauer Anti-Dopinglabors in China nicht unter der Landesflagge starten, sondern treten unter der des nationalen olympischen Komitees (ROC) an. Eiskunstlaufpräsident Alexander Gorchkow forderte, „alle Umstände“ aufzuklären, äußerte aber keine Zweifel an der Aufrichtigkeit der Athletin. Das ROC stellt den Test infrage und deutet Verschwörungsgedanken an. „Es scheint, dass jemand die Probe bis zum Ende des Teamwettbewerbs zurückgehalten hat“, unterstellte ROC-Chef Stanislaw Posdnjakow, und der Kreml in Moskau stellte sich erwartungsgemäß „auf ganzer Linie“ hinter seine Eisprinzessin. „Kamila, versteck dein Gesicht nicht! Du bist Russin, nimm an den Wettkämpfen teil und gewinne“, schwadronierte Regierungssprecher Dmitri Peskow.
Nun ist sie erst 15 Jahre alt und gilt im IOC deshalb als „geschützte Person“, bei einem Dopingvergehen kann die Strafe milder ausfallen. Viele Beobachter gehen davon aus, dass nicht der Teenager um das Mittel gebeten hat, sondern Personen aus dem Umfeld als Täter infrage kommen. „Als Athletin befolgt man den Rat seiner Vertrauten, dem Trainer- und ärztlichem Team“, teilte Olympiasiegerin Katarina Witt mit. Zwei stehen dabei im Fokus. Nummer eins ist Filipp Shvetskiy. Der Mediziner hatte vor den Spielen 2008 russischen Ruderern verbotene Infusionen verabreicht und wurde gesperrt – er hat Walijewas Team regelmäßig begleitet.
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Nummer zwei heißt Eteri Tutberidse. Die Trainerin ist für ihre harten Methoden bekannt. Russische Quellen berichteten der „ARD-Sportschau“, dass bei Trainingslagern Dosen mit angeblichen Vitaminpräparaten bereitstanden. Was die Pillen enthielten, blieb unbekannt. „Ich bin sicher, dass Kamila unschuldig und sauber ist“, sagte die 47 Jahre alte Tutberidse im russischen Fernsehen, über die in verschiedenen Social-Media-Plattformen ein Shitstorm hereinbrach. Die Rusada kündigte eine Untersuchung gegen das Umfeld der Läuferin an, Mark Adams sagte, das IOC würde „eine harte Linie begrüßen. Auf die Entourage sollte geschaut werden“.