Nach zehn Jahren der Debatte eröffnet die Downhill-Strecke von Degerloch nach Stuttgart-Süd. Ob altem Streit neuer folgt, scheint ungewiss. Der Betrieb ist vorerst nur zur Probe genehmigt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Zehn Jahre der Diskussion, des Streits, der Beschlüsse und Gegenbeschlüsse enden am Freitag mit zweieinhalb Minuten Fahrt. So lang brauchen die besten Downhiller, um sich den Parcours durch den Wald zwischen Degerloch und der Eiernest-Siedlung im Süden hinabzustürzen. Die Eröffnungsfahrerin gehört zu den besten in Deutschland. Katrin Karkhof gebührt die erste Abfahrt. Die Lehrerin aus Stuttgart fuhr bei den Deutschen Meisterschaften 2015 auf Platz drei. Um 13 Uhr geht sie an den Start nahe der Helene-Pfleiderer-Straße 19.

 

Drei Monate lang hat es gedauert, den Parcours von gut einem Kilometer Länge in den Waldboden zu graben, Hindernisse aufzubauen und Ausweichwege um sie herum, auf dass ungeübte Fahrer nicht zu waghalsigen Aktionen gezwungen sind. Start und Ziel sind so gewählt, dass die Fahrer sich bergan von ihrer Anstrengung erholen können. Der Aufstieg wird mit der Zacke zwischen den Haltestellen Marienplatz und Degerloch bewältigt. 175 000 Euro hat die Stadt sich den Spaß für die Downhiller kosten lassen. Laut dem Sportamtsleiter Günther Kuhnigk ist die Stadt „Vorreiter in Deutschland“. Downhillstrecken gibt es viele, aber in Stuttgart ist das Sportamt der offizielle Betreiber.

2006 versprach OB Schuster erstmals die Strecke

Nicht zuletzt dies ist der Grund dafür, dass zwischen der Idee und der ersten Abfahrt zehn Jahre vergingen. 2006 hatte der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster den Downhillern erstmals eine offizielle Strecke versprochen. 2011 stimmte der Gemeinderat dem Bau zu. Zuletzt verzögerte aus Naturschutzgründen noch die Brutzeit des Spechtes die Eröffnung. Ob sie der Schlusspunkt der scheinbar ewigen Debatte sein wird, scheint fraglich.

Das Fahren durch den Wald ist verboten, des Flurschadens wegen. Ungeachtet dessen listet die Stadtverwaltung 15 Parcours auf Stuttgarter Markung auf – allesamt illegale, die rege genutzt werden. Fahrrädern fehlt eben ein Nummernschild, die Gesichter der Downhiller sind unter ihren Helmen verborgen, und einholen kann sie querfeldein niemand. Das durchschnittliche Gefälle der offiziellen Strecke – zwölf Prozent – gibt einen Hinweis auf die Geschwindigkeit, die erreichbar ist. Bis zu 40 Stundenkilometer sind möglich.

Anfangs witzelten die Stadträte über das Anliegen

Um die Sportart aus der Illegalität zu holen, begann die Diskussion um eine offizielle Strecke. Anfangs sah der Gemeinderat das Ansinnen launig. Mal witzelten die Stadträte darüber, dass Radfahren nur Sport sein könne, wenn bergauf gefahren wird, mal darüber, dass Kreuzungen zu Spazierwegen elegant mit Sprungschanzen zu überbrücken seien. Am Ende stand humorige Gleichgültigkeit.

Allerdings kippte die Laune nach Terminen vor Ort. Am drastischsten formulierte es 2007 der damalige CDU-Fraktionschef Reinhold Uhl: „Die rasen wie die Geistesgestörten und fliegen auf Augenhöhe an einem vorbei.“ Hinzu gesellte sich Protest aus der Eiernest-Siedlung, angeführt von der Theaterintendantin Susanne Heydenreich. 500 Anwohner unterschrieben gegen die Strecke, weil die Downhiller es auf den Straßen durch ihr Wohngebiet nicht minder eilig hatten als im Wald. Der Bezirksbeirat Süd gab ebenfalls seine Bedenken zu Protokoll. Am Ende fochten nur noch die Grünen, der Sportamtschef und die Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann für den Parcours.

Ob sie weiter fechten müssen, wird zuoberst davon abhängen, ob die Downhiller sich an die Regeln halten. Über die informiert eine Schautafel am Start. Schutzkleidung gehört genauso dazu wie die Beschränkung auf die offizielle Route. Mit deren Eröffnung ist die Hoffnung verbunden, dass die Bergabgemeinde künftig die illegalen Strecken meidet. Zwischenzeitlich hatte das Umweltamt gar zur Bedingung erhoben, dass alle anderen Parcours geschlossen und überwacht werden. Dass der Streit wieder aufflammt, halten offenkundig auch die Befürworter im Rathaus keineswegs für ausgeschlossen. Der Betrieb ist vorerst nur für zwei Jahre genehmigt, zur Probe.