Die Drag-KünstlerInnen Vicky Voyage und Eric BigClit wollen Kindern in einer Münchner Stadtbibliothek aus Kinderbüchern vorlesen, CSU und Freie Wähler laufen Sturm. Um den Auftritt entfacht sich ein Kulturkampf.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Auch Markus Söder hat sich schon als Frau verkleidet. Der CSU-Politiker und Ministerpräsident von Bayern ging 2013 als Marylin Monroe auf Fasching, stark geschminkt mit angeklebten langen Nägeln und wasserstoffblonder Perücke hätte er womöglich eine gute Drag-Queen abgegeben. 2023: Die Drag-Künstlerinnen Vicky Voyage und King Eric BigClit wollen am 13. Juni in der Münchner Stadtbibliothek Kindern Kinderbücher vorlesen. CSU und Freie Wähler wollen die Veranstaltung stoppen, es gehe unter anderem um Kindeswohlgefährdung. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt?

 

Nach Argumentation der Kritiker geht es nicht nur um Trans-Inhalte, sondern auch die Bezeichnung eines Teils des weiblichen Geschlechtsorgans, die einer der Künstler im Namen trägt. „Kinder mit sowas zu konfrontieren ist Kindeswohlgefährdung, nicht ,Weltoffenheit’, Ihr grünen Spinner! Eric Große Kli… ‚liest ja nur nette Märchen vor?’ Der Name spricht für sich. Ihr seid eine Gefahr für unser Land, wenn Ihr sowas gut findet!“, twitterte etwa Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (CSU).

Auch die CSU positioniert sich kritisch gegenüber der Veranstaltung, die für Kinder ab vier Jahren empfohlen ist. Der CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach von „woker Frühsexualisierung“, auch aus der Schwesterpartei CDU finden sich zahlreiche empörte Stimmen. Münchens OB Dieter Reiter (SPD) sagte zwar zunächst, dass er die Veranstaltung mit seinen Enkeln nicht besuchen würde, ein Verbot der Veranstaltung komme aber für ihn auf keinen Fall in Frage: „Die Teilnahme an der Veranstaltung ist freiwillig und Eltern können selbst entscheiden, ob sie mit ihren Kindern hingehen möchten oder nicht.“

Vicky Voyage gibt sich trotz der emotional aufgeladenen Diskussion betont gelassen. „Ich konzentriere mich weiterhin auf meinen Alltag und verbringe keine Zeit mit dem Lesen von Hassbotschaften“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung. Dabei gibt es von den Hassbotschaften genug: In den Kommentarspalten in sozialen Netzwerken sind die KünstlerInnen massiven Beleidigungen ausgesetzt; auf Twitter tobt ein Kulturkampf mit Tausenden Beiträgen.

Von der Politik fordert Voyage mehr Rückendeckung: „Die aktuelle Debatte zeigt, wie wichtig dieses Thema ist und dass wir noch viel Aufklärung betreiben müssen.“ Es sei wünschenswert, dass künftig weitere Angebote und mehr Aufklärungsarbeit von der Politik initiiert würden, um langfristig mehr Verständnis und Toleranz in der Gesellschaft zu fördern.

Rückendeckung von den Grünen

„Die Drag-Lesung wird als Familienevent gestaltet, sexuelle Themen bringen wir dort nicht ins Spiel“, sagt Voyage. Es gehe es um Identität und Diversität und darum, dass jedes Kind so sein soll, wie es sein möchte. Gelesen werden sollen Bücher wie „Ein Tag im Leben von Marlo Bundo“, „Der Junge im Rock“ oder „Flora und der Honigkuss“. Alle thematisieren nicht-traditionelle Geschlechterrollen. Trotz der hitzigen Debatte kommt Voyage zu dem Schluss: „Es gibt mehr Befürwortung für das Event als Gegenwind.“

Zu den Fürsprechern zählen unter anderen die Münchner Grünen, die sich offen hinter die KünsterInnen stellen. „Wir fordern die Rathauspolitik auf, für Vielfalt und ein buntes München einzustehen, statt dem Druck rechtspopulistischer und rechtsextremer Stimmen nachzugeben“, schreiben sie in einer Mitteilung. „Die Äußerungen von CSU und AfD zur geplanten Lesung lassen tief blicken. Das Mantra ,Leben und leben lassen’ gilt für die CSU scheinbar nur, soweit es in ihr Raster aus Weißbier und Trachtenjanker passt“, wird Joel Keilhauer, der Vorsitzender der Münchner Grünen, dort zitiert.

CSU beim CSD ausgeladen

Die Debatte hat auch Konsequenzen, die über soziale Netzwerke und die Lesung hinausreichen. Aufgrund der Wortmeldungen der CSU wurde diese vom CSD München kurzerhand ausgeladen und als unerwünscht erklärt: „Die Partei hat sich in den Augen der Veranstalter*innen-Vereine insbesondere in den letzten Tagen wieder klar für eine Teilnahme am Münchner CSD disqualifiziert“, teilten die Organisatoren mit. Einen CSU-Wagen werde es bei der großen Polit-Parade durch die Stadt dort in diesem Jahr also nicht geben.

https://twitter.com/VickyVoyage/status/1654126264205344774?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1654126264205344774%7Ctwgr%5Ed43ac2a38696e7b495493b070c72f22a89d4037d%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.queer.de%2Fdetail.php%3Farticle_id%3D45476

Drag-Lesungen für Kinder sind keine Erfindung der Münchner Stadtbibliothek. 2022 sorgte eine Kinderbuchlesung einer Drag-Queen in Wien für Wirbel: Damals wurde die Tür des Veranstaltungsorts vor dem Termin zugemauert. „NoPrideMonth“ soll auf der Mauer gestanden haben, schrieb der „Standard“. In den USA oder in Großbritannien suchen Drag-Künstlerinnen über Lesungen und andere kindgerechte Beschäftigungen schon länger den Kontakt zu Kindern, um Toleranz zu vermitteln. Auch dort werden die Aktionen bis heute von Protesten begleitet.